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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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und Antons Porzellanhaut schimmerten schwach.
    Der Junge hob seine unvollständige Hand. »Wird er nachwachsen?«, fragte er so hoffnungsvoll, dass ich versucht war, ihn anzulügen.
    »Nein, wahrscheinlich nicht.«
    »Mist«, sagte er und drückte die Puppe ein wenig fester an sich.
    »Ich kannte jemanden, dem hat man neun Finger geklaut.« Und ich musste lächeln bei dem Gedanken an die ledernen Schwänzchen meines Sturmbannführers.
    »Wo ist er jetzt?«
    »Tot.«
    »Stirbt man daran?« Das Kind besah sich seine lädierte Hand.
    »Nein, nein. Er hat ein tolles Leben gehabt, und das mit nur einem einzigen Finger.«
    »Ein tolles Leben… Was hat er gemacht?«
    »Er war mein Freund.«
    Herakles zögerte einen Moment, dann beugte er sich ein bisschen näher zu mir und flüsterte: »Wo geht man hin, wenn man tot ist?«
    »Ins Paradies«, antwortete ich, ohne nachzudenken.
    »Wo ist das?«
    »Hast du noch nie etwas vom Paradies gehört?«
    »Nein«, sagte er tonlos, und ich spürte, wie sein Körper sich anspannte.
    »Adam und Eva? Der Garten Eden? Noch nie gehört?«, hakte ich nach.
    »Du bist Adam, aber wer ist Eva? Und wo ist der Garten?«
    Ich hätte besser zuhören sollen, als meine Mutter mir die Geschichte von meinem Namensvetter erzählt hatte.
    Ich entschied mich, die Schlange, an deren Rolle ich mich nur noch vage erinnern konnte, erst einmal wegzulassen, und konzentrierte mich darauf, das Paradies zu beschreiben.
    Erst als ich bei den nackten, fröhlichen Menschen angelangt war, bemerkte ich Herakles’ Entsetzen.
    »Sie haben nicht einmal Schuhe?« Echtes Grauen schwang in seiner Stimme. »Man muss nackt über einen Friedhof laufen? Und überall Papier?«
    »Nein, nicht über einen Friedhof. Ein Garten. Und kein Papier, sondern Blumen und Bäume. Und man braucht nichts zum Anziehen, weil… weil man es nicht braucht. Man friert nicht. Die Sonne scheint.«
    Aber Herakles verstand meine Worte nicht. Der Ghetto-Friedhof, auf dessen Boden ein paar Grasbüschel wuchsen, war der einzige Garten, den er jemals betreten hatte. Meine Rosen, die nur braune, verdorrte Stiele waren, hatten ihn nicht von ihrer Wirklichkeit überzeugen können. Und nackt sein bedeutete hier den Untergang.
    Tränen liefen über sein Gesicht. Ich hatte den Jungen noch nie weinen sehen.
    »Das ist ein Paradies, aber es gibt noch ein anderes«, stammelte ich.
    »Ein anderes?«, fragte er und riss die Augen auf.
    »Ja. Es ist ein Haus. Dort sieht es so ähnlich aus wie in deinem Schrank, nur größer. Und es gibt drei Öfen, in denen Tag und Nacht ein Feuer brennt.« Herakles wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Und jeder bekommt ein Paar nagelneue Stiefel.«
    »Mit Fell?«, fragte er aufgeregt.
    »Ja, ja, mit Fell. Außerdem hat jeder einen Mantel, auch mit Fell, und Handschuhe.«
    »Woah«, machte der Junge, »Handschuhe?«
    »Ja. Und es gibt einen Bäcker, da kann man sich so viel Brot holen, wie man will. Bis man satt ist.«
    »Und Marmelade?« Er hielt den Atem an.
    »Ja. Verschiedene Sorten. Es gibt gelbe und rote und grüne.«
    »Grüne Marmelade?« Jetzt flog sein Kopf in den Nacken, und er lachte. »Du bist verrückt, grüne Marmelade. Du bist wirklich verrückt. Grün! Du lügst doch.«
    »Nein. Und es gibt Milch, acht Gläser pro Tag, manchmal auch zehn.«
    »Und was ist mit den Polizisten, sind die auch da?«
    »Nein, keine Polizei.«
    »Wo kommen die hin?«
    »In das andere Paradies, dort wo man nackt rumlaufen muss.«
    Er lächelte zufrieden.
    Dann öffnete jemand von außen die Tür. Menden und Frau Blemmer standen vor dem Schrank. Sie sangen ein Lied für das Kind, und wie eine seltsame Familie feierten wir vier um Mitternacht Herakles’ willkürliche Geburtsstunde.
    Es gab ein Stück Kuchen für den Jungen und sogar ein Geschenk, eine Wollmütze.
    Seinen fehlenden Finger akzeptierte Herakles schon bald. Was ihm allerdings zu schaffen machte, war der Verlust seiner Stiefel. Und so entschloss ich mich, loszuziehen und Busslers Geige gegen ein paar Kinderschuhe einzutauschen.
    Frau Blemmer drängte sich als meine Begleitung auf, und ich wagte ihr nicht zu widersprechen.
    Die Straßen des Ghettos waren voll, wie jeden Tag.
    Abrahams Máme benutzte ihre Ellbogen, um schneller vorwärtszukommen, und ihre hebräischen Flüche und Verwünschungen verfolgten mich.
    »Frau Blemmer, können Sie bitte damit aufhören«, platzte es aus mir heraus, als ihr Arm zum zweiten Mal gegen meinen Magen donnerte.
    »Ich wollte Sie nicht

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