Adams Erbe (German Edition)
ausgeliefert. Irgendwann schlief ich ein, weil man irgendwann immer einschläft.
Das Frühstück, die Reste vom Vorabend, nahmen wir zu dritt in Mendens Zimmer ein. Herakles hatte die Wohnung bereits verlassen, in der Hoffnung, auf den Straßen seiner einzigen Heimat ein glückliches Geschäft zu machen.
Der Professor lag in seinem Bett, und Frau Blemmer und ich saßen auf den Stühlen, die wir aus unseren Zimmern mitgebracht hatten. Schweigend tunkten wir das Brot in den Tee, der eigentlich nur heißes Wasser war.
An diesem Morgen hatte mich Abrahams Máme mit so etwas wie einem Lächeln begrüßt. Und gerade als der Gedanke in mir zu entstehen begann, dass Frau Blemmer vielleicht doch eine friedliche Zeitgenossin sein könnte, stupste sie mich am Ellbogen. Stupsen ist das falsche Wort, schlagen trifft es besser.
»Was haben Sie da überhaupt im Gesicht?« Sie sprach, wie andere nur schießen können.
»Entschuldigung, was?«
Ein zweiter Schlag. »Die Haare. Das Bärtchen.«
Ich strich über meinen Schnurrbart und wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Das machen Sie mal besser ab. Sie erinnern mich an jemanden, an den ich nicht gerne erinnert werde.«
»An August?« Ich lächelte.
»An wen?«
»Adolf.«
»Na, bin ich jetzt im Meschugóim-Hojs? Glaubt der Junge hier, er sieht aus wie Hitler? Professor, tun Sie was.«
Aber Menden tat nur so, als ob er nichts gehört hätte.
»Ich… ich dachte nur, weil…«, versuchte ich Frau Blemmer zu beruhigen.
»An meinen Cousin erinnern Sie mich. An diesen Chòzef.«
»Aha«, murmelte ich.
»Aha, aha, aha. Sparen Sie sich Ihr Aha. Machen Sie lieber den Bart ab.«
»Ich habe noch eine Rasierklinge«, warf der Professor ein, ohne von seiner Teetasse aufzublicken.
»Aha«, antwortete ich.
Máme holte Luft, aber in diesem Moment klopfte es an der Tür.
Rafal in seiner Uniform. Ein Gummiknüppel baumelte an seinem Gürtel, da, wo echte Polizisten ihre Pistole trugen. Ehe er auch nur ein einziges Wort sagen konnte, eröffnete Ruth Blemmer schon das Feuer.
»Rafal, habe ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie kommen sollen, wenn ich nicht da bin? Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ich Ihre hässliche Visage nicht ertrage? Fleckfieber ist eine Wohltat verglichen mit Ihnen…«
Keiner von uns wagte es, sie zu unterbrechen. Madam hatte einen langen Atem, aber irgendwann ging auch ihr die Puste aus.
Frau Blemmer stand auf, stapfte in ihr Zimmer und kam in einem grauen Mantel – ganz Nilpferdhaut – zurück.
»Dann muss ich wohl gehen«, sagte sie. Es klang eher beleidigt als wütend.
Rafal baute sich vor ihr auf und zog ein paar Geldscheine aus seiner Tasche. »Von Ihrem Sohn«, sagte er höflich.
Sie riss ihm die Scheine aus der Hand. »Sie wissen, dass ich es nur nehme, weil mir der Gedanke zuwider ist, dass Sie es behalten. Lieber esse ich es auf oder verbrenne es.«
Der Hilfspolizist nickte geduldig.
»Ich kann Sie von Stunde zu Stunde weniger leider, Rafal.« Und dann marschierte sie los und knallte unsere arme Wohnungstür hinter sich zu.
»Puh«, machte Menden und lächelte. »Nochmals willkommen, Adam, so ist es hier.«
Rafal ließ sich auf Frau Blemmers Stuhl nieder.
Meine polnischen Freunde hatten für alles gesorgt. Ich hatte einen Arbeitsplatz. Im Ghetto wurden Konzerte veranstaltet, richtige Konzerte, und ich sollte an der Kasse sitzen.
»Sie werden nicht viel verdienen, aber es war schwer genug, Ihnen überhaupt eine Stelle zu beschaffen. Schade, dass Sie nichts können.« Rafals Augenbrauen hoben sich fast bis zum Haaransatz. Er seufzte. »Ich meine, dass Sie keinen Beruf haben. Irgendwas werden Sie ja sicher können.«
Ich antwortete nicht.
Bald darauf verabschiedete sich der Polizist. »Morgen hole ich Sie ab, Adam, und bringe Sie zum Konzertsaal.«
Rechts. Links. Dann drehte er sich noch einmal um. »Professor Menden, Sie sollten besser auf Herakles aufpassen.«
»Herakles kann auf sich selber aufpassen.«
»Ich wollte es nur gesagt haben.«
Der Professor und ich waren allein.
»So, Adam, jetzt rasieren Sie sich erst mal, und dann erzählen Sie mir doch bitte Ihre Geschichte.«
»Meine Geschichte?«
»Ja. Von dem Mädchen und der Liebe.«
»Sie wissen also, warum ich hier bin?«
»Natürlich.«
Das haarige Relikt der Ära ›Anton Richter‹ verschwand aus Adams Gesicht. Außer einem Kochtopf mit Dreck und Gras erinnerte nun nichts mehr an den Rosenzüchter des Generalgouverneurs.
Der Professor fischte eine braune Flasche hinter
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