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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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seinem Bett hervor. »Kein Wort zu Frau Blemmer«, sagte er und goss einen Schuss hochprozentigen Alkohol in unsere Tassen. »Sonst bekommen wir Schwierigkeiten mit ihrem Gott.«
    Während sich Wärme und ein angenehmer Schwindel in mir ausbreiteten, erzählte ich von uns, Anna.
    »Und Ihre Geschichte, Professor?«
    Nach der zweiten Runde Schnaps wusste ich, dass Menden in Wien geboren worden war, in München Altphilologie studiert und an der Universität in Prag gelehrt hatte. Auch seine Geschichte fand ihr vorläufiges Ende im Warschauer Ghetto.
    »Sehen Sie, Adam, und was bleibt, sind unsere Worte.«
    Ein drittes Mal füllten sich unsere Tassen. »Zur Feier des Tages.« Der Professor zwinkerte mir zu.
    Mein Blick fiel auf den Ofen. Neben dem glühenden Eisen, eingehüllt in eine Decke, lag die Puppe.
    »Er wollte, dass sie es warm hat«, sagte Menden.
    »Warum haben Sie ihn eigentlich Herakles genannt?«
    Der Alte lächelte. »Herakles… Der Lieblingssohn des Zeus. Er war mutig und tapfer. Immer wieder musste er unmögliche Aufgaben meistern und gefährliche Prüfungen bestehen. Aber vor allem war er der Einzige unter den Menschen, der Unsterblichkeit erlangte.
    Als sein Körper auf der Erde verbrannt wurde, verkündete Zeus den anderen Göttern: ›Der unsterbliche Teil des Herakles ist vor dem Tode sicher, und ich werde ihn bald hier auf dem Olymp begrüßen.‹ Was soll man einem Kind, das nichts außer diesem Ghetto kennt und das vielleicht niemals etwas anderes sehen wird, denn mehr wünschen, als dass ein Teil von ihm dem Tod entkommt. Ein Name ist eine Mitgift, ein Erbe. Das sollten Sie wissen, Adam. Adam, der…«
    »…der einzige Mann, der jemals das Paradies gesehen hat«, beendete ich seinen Satz.
    An diesem trunkenen Vormittag erfuhr ich auch, dass der Familie Blemmer ein ähnliches Schicksal widerfahren war wie deinen Eltern, Anna. Sie waren aus Polen vor den Pogromen geflohen und hatten sich in Österreich ein neues Leben aufgebaut. Dann kam Busslers Verein, und man schickte sie zurück in ihre alte Heimat. Aber auch hier fanden sie keine Ruhe, August war ihnen auf den Fersen.
    Die Blemmers waren wohlhabend. Das wusste Abraham zu nutzen, und noch bevor die Mauern des Warschauer Ghettos standen, tauchte er unter.
    Frau Nilpferd, die die Polen und die Deutschen gleichermaßen hasste, wollte sich nicht verstecken. Alles Leid, das ihr zugefügt wurde, jede Entbehrung verstand sie als eine Prüfung, die Gott ihr auferlegte.
    »Dabei ist sie nicht einmal religiös. Nicht im eigentlichen Sinne. Ich verstehe kein Hebräisch, aber ein Rabbiner sagte mir einmal, dass die Litaneien unserer lieben Frau Blemmer nicht Gebete, sondern Verwünschungen seien.«
    »Und wen verwünscht sie?«
    »Oh, ich glaube, uns alle. Sie zürnt der gesamten Menschheit.«
    »Darf ich Sie noch etwas fragen, Professor?«
    »Nur zu.«
    »Frau Blemmer hat Sie und Rafal. Das macht mich irgendwie überflüssig…«
    »Adam, sehen Sie. Abraham will jemanden an der Seite seiner Mutter wissen, der bei ihr bleibt. Egal was passiert. Der für sie da ist. Immer und bedingungslos.« Menden lächelte nachdenklich und goss uns ein letztes Mal ein.
    Die Eintrittspreise waren niedrig, das Publikum eine Mischung aus allem, was das Ghetto zu bieten hatte, und die Musiker zum Teil erstrangige Künstler, die früher einmal bedeutende Häuser gefüllt hatten.
    Die Konzerte ließen mich immer an eine beschädigte Diamantenkette denken. Der Verschluss war kaputt, und viele der wertvollen Steine fehlten. Aber sobald man das ramponierte Schmuckstück ins richtige Licht setzte, erwachte seine glanzvolle Vergangenheit wieder. Auch die leeren Fassungen funkelten wie einst, der Zauber hielt, solange die Musik spielte.
    Manchmal nahm ich Herakles mit, und Herakles nahm Anton mit. Dann standen wir drei ganz hinten, das Kind, die Puppe und ich. Jede Melodie beschwor dein Gesicht herauf, Anna, und jeder Akkord entführte mich nach Berlin.
    Und dann das Ende, denn es endete immer. Das Licht wechselte seine Farbe, die Kette fiel stumpf zu Boden, und Herakles’ kleiner Körper, der so gelöst im Takt mitgewippt hatte, versteifte sich wieder. An welchen Ort die Geigen und Trompeten das Kind wohl getragen hatten?
    Als ich ihn einmal auf dem Nachhauseweg danach fragte, sah er mich aus seinen grünen Telleraugen ungläubig an.
    »Nirgends«, sagte er.
    »Und woran denkst du?«
    »An nichts.«
    »Und siehst du irgendwas?«
    »Die Leute auf der Bühne«, antwortete

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