Adams Erbe (German Edition)
bitte geben.«
Menden nickte.
»Es ist nicht meine Schuld. Was hätte ich denn tun können? Was?«, fragte Rafal. Aber weder der Professor noch ich wussten darauf eine Antwort.
»Adam, schauen Sie, was ich habe«, sagte Menden, als wir allein waren, und hielt zwei Zigarren hoch. »Möchten Sie?«
Der blaue Rauch, den wir in die Luft schickten, vermischte sich mit dem grauen Rauch, den unser Ofen ausspuckte.
»Erzählen Sie mir von der Liebe, Adam.«
»Von der Liebe?«
»Ihre Geschichte. Erzählen Sie sie mir noch einmal.«
Also fing ich an: Es war einmal ein Junge, er hieß Adam Cohen, seine Großmutter hatte schwarzblaue Haare, italienische Haare… »Und Rafal fragte Adam und den Professor, was er denn hätte tun können, aber keiner von beiden wusste eine Antwort… Das ist das vorläufige Ende.«
An den kurzen Wintertagen dehnten sich die Stunden. Das Hochgefühl, das Augusts Kriegserklärung ausgelöst hatte, hatte sich längst verflüchtigt. Herakles zog wieder tagtäglich durch die Straßen des Ghettos, und Frau Blemmer zürnte wie eh und je der gesamten Menschheit.
Allmählich setzte sich der Warschauer Alltag in meinen Kleidern fest. Die Jacke meines Großvaters, die mich beschützen sollte, hatte an beiden Ellbogen ein Loch, ebenso wie die Sohlen meiner Stiefel.
Ich stand hinten und hörte der Musik zu, aber dieses Mal wollten die Melodien mich nicht entführen. Denn in der letzten Stuhlreihe saß jemand, den ich schon einmal gesehen hatte. Es war der alte Mann, der Stofffetzen in Hunde und Tauben verwandeln konnte.
Erst als ich ihm von unserer Begegnung in Wredens Fabrik erzählt hatte, erkannte mich der Püppchenmacher wieder.
Izydor Klein betrachtete mich voller Verwunderung. »Aber damals waren Sie ohne…« Und er berührte die Sternenbinde an meinem Arm.
»Eine lange Geschichte…«
Er lächelte verständnisvoll.
»Arbeiten Sie noch bei Wreden?«
»Ja.«
»Und haben Sie Bernie… Bernadette wiedergesehen?«
»Oh… Das gnädige Fräulein mit ihrem Hund Zweiäuglein. Ja. Ja. Sie kommt oft.«
»Wie geht es ihr? Ich meine, wie sieht sie aus? Ist sie gewachsen? Lacht sie?«
»Unverändert, würde ich sagen. Soll ich sie grüßen, falls…«
»Nein.«
Izydor wohnte ganz in meiner Nähe, und wir machten uns gemeinsam auf den Heimweg.
»Falls Sie dem gnädigen Fräulein doch etwas aus…«
»Nein«, sagte ich, bevor er seinen Satz beenden konnte.
»Sie wissen ja jetzt, wo ich wohne.« Der alte Mann drückte meine Hand.
Einen Moment lang stand ich allein auf der Straße und drehte meinen Kopf in die Richtung, in der ich das Drachenhaus vermutete. Und es war mir, als ob ich eine Glocke läuten hörte und das Lachen eines Riesenbabys. Die Geräusche verstummten erst, als ich die Treppen zu unserer Wohnung hochstieg.
So friedlich saßen die drei selten beisammen. Der Professor las ein Buch, Frau Blemmer stopfte Socken, Herakles hockte neben dem Ofen und wiegte seine Puppe.
Ich setzte mich zu dem Kind auf den Boden. Zwei Kerzen, eine Petroleumlampe und das Ofenfeuer tauchten das Zimmer und seine Bewohner in ein hübsches, lebendiges Licht.
Aber wir sind im besetzten Polen, Anna…
Achtzehn Schüsse. Ich habe mitgezählt. Herakles und ich klebten an der Fensterscheibe, unsere Verdunkelung hatte ebenso viele Löcher wie unsere Kleider.
Fünf Männer aus Busslers Verein. Zehn Schüsse. Sieben Tote. In einer Reihe. Einer der Uniformierten schießt einmal in die Luft, schlägt sich dann wild auf die Brust. Ein Siegestrommeln. Schreie. Aus dem gegenüberliegenden Haus stürmen vier Menschen. Sechs Schüsse. Vier Menschen weniger auf der Welt. Der Trommler läuft auf und ab. Brüllt die Leichen an. Brüllt seine Männer an. Er lacht. Sein rechter Stiefel zertrümmert den Kiefer einer toten Frau. Weil der Mann noch ein bisschen Kraft in seinem Fuß verspürt. Die will raus. Applaus. Hast du mitgezählt, Anna? Einen Schuss hat er noch. Ein Mädchen mit langen Haaren. Ein schönes Mädchen, soweit ich das von hier oben erkennen kann. Doch! Sie war schön. Und wenn sie nur ein paar Minuten später hier entlanggekommen wäre oder eine halbe Stunde früher oder einfach einen anderen Weg genommen hätte, wäre sie vielleicht noch immer schön. Sie will umkehren, aber der Trommler hat sie bereits entdeckt. Da ist noch eine Kugel in seiner Pistole. Die will raus. Das Mädchen rennt, ihre Haare wehen im Wind. Trab, Galopp. Ein Schuss. Sie fällt. Wir stehen am Fenster und schauen zu. Und Busslers
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