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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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Mäntelchen und das leere Buch verstaute ich neben dem Rosenkübel. Dort warteten sie, seltsam vereint, auf ihre Stunde. Schon ein paar Tage später war es zumindest für eines von ihnen so weit.
    »Was machen Sie da?« Abrahams Máme haute mit der flachen Hand gegen meinen Hinterkopf, vor Schreck ließ ich die rostige Schere fallen. Die Nilpferdhiebe schmerzten nicht, sie machten nur wütend.
    »Frau Blemmer, Sie sollen mich nicht schlagen.«
    »Das habe ich doch gar nicht«, schnaubte sie. »Und was soll das, Adam?« Sie hielt eines von 42 Stoffstücken in die Höhe.
    »Er hätte ihn niemals angezogen«, sagte ich.
    Ein weiteres Schnauben, und dann verfiel sie ins Hebräische. Ich ließ sie fluchen und zerschnitt den Rest des Mantels in kleine Teile.
    »Wohin gehen wir?«, fragte Herakles, der neben mir herhüpfte. »Und was ist in dem Sack?«
    »Eine Überraschung. Wir sind gleich da.«
    Das Kind lachte und stampfte auf und lachte.
    Izydor Klein schien kein bisschen überrascht zu sein, mich so schnell wiederzusehen. Er verstand sofort, was ich von ihm wollte, als ich den Sack mit den Stofffetzen öffnete. Der Alte lächelte und wandte sich an Herakles.
    »Was ist dein Lieblingstier?«, fragte er das Kind, das gebannt auf den Flickenhaufen starrte, der einmal ein dunkelblauer Mantel war.
    Herakles überlegte sehr lange und sehr gründlich.
    »Wie heißt sie, wie heißt sie?«, rief er aufgebracht. »Mit vier Beinen und braun und weiß, aber kein Pferd… Sie war einmal hier.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber Izydors Augen leuchteten auf. »Du meinst eine Kuh.«
    »Die Kuh. Sie war einmal hier, Adam.« Herakles atmete schnell vor Aufregung, und sein Kopf flog in den Nacken.
    »Eine Kuh war hier?«, fragte ich.
    »Ja. Ja.« Er klatschte in die Hände. »Sie war… Sie war schön und groß und dick, und sie war hier. Sie war hier.«
    Izydor lachte, und dann erzählte er mir, dass jemand wirklich einmal eine Kuh ins Ghetto gebracht hatte. Viele Kinder, unter ihnen Herakles, hatten bis dahin noch nie so ein Tier gesehen. Es war ein Ereignis gewesen und für einige anscheinend unvergesslich.
    »Gut, eine Kuh.« Und schon verzauberten Izydors Hände ein paar Stoffstücke, und fertig war die Kuh.
    »Wie machst du das?« Herakles’ grüne Teller wurden so groß, dass sich ganz Polen darin hätte spiegeln können.
    Eine Stunde später besaß das Kind eine ganze Menagerie von Kühen, Ratten, Katzen, Raben und Hunden.
    Völlig versunken formierte er die Tiere immer wieder neu, stellte sie einander vor und flüsterte ihnen Geheimnisse in ihre winzigen Ohren.
    Izydor reichte mir ein Glas mit einer roten Flüssigkeit.
    »Angeblich Wein, aber das bezweifle ich. Probieren Sie.«
    Es schmeckte süß und bitter zugleich, ein wenig wie Hustensaft.
    »Ich habe sie heute gesehen«, sagte Izydor.
    »Wen?«
    »Das gnädige Fräulein.«
    »Bernadette?«
    »Ja. Bernadette. Bei unserer letzten Begegnung habe ich Ihnen etwas verschwiegen, Adam.«
    Izydor faltete seine von blauen Adern und hellbraunen Flecken überzogenen Hände zusammen. »Das Mädchen hat mein Leben gerettet«, flüsterte er.
    »Bernie?«
    »Ja. Warten Sie. Ich zeige es Ihnen.« Der alte Mann stand auf und kam mit einer Schachtel zurück. Ein schwarzer Stoffhund, auf dessen Bauch in Silber das Vereinskürzel »SS« glitzerte. Ein feldgrauer Adler, auf dessen Schwingen die Reichsflagge prangte. Ein Pferd mit dem Schriftzug »Sieg Heil« auf dem Rücken.
    Izydor Klein erzählte mir die Geschichte des nationalsozialistischen Miniaturzoos: Der alte Mann sollte entlassen werden, so wie viele andere seiner Kollegen auch. An dem Tag, als die Schreckensnachricht bekanntgegeben wurde, war zufällig Bernadette in der Fabrik und flehte ihren Vater an, Izydor zu behalten. Auf Drängen seiner Tochter ließ sich der Fabrikant das »Talent« des Arbeiters vorführen.
    Egon Wredens Desinteresse verwandelte sich nach wenigen Minuten in Begeisterung. Er drückte Bernie an sich und nannte sie ein Genie.
    Die Miniaturtiere waren so klein, dass sie in einem Standardkuvert Platz fanden. Geschenke für Soldatenkinder. Väter konnten ihrem Nachwuchs mit der Feldpost ein solches Püppchen zukommen lassen.
    Die Wehrmacht und die Waffen-SS waren von den Tieren angetan, und Herr Wreden bekam sogar eine Auszeichnung für besondere Verdienste.
    »Wenn das gnädige Fräulein nicht gewesen wäre, hätte ich meine Arbeit verloren und wäre wahrscheinlich verhungert.«
    »Auf Bernadette.«

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