Adams Erbe (German Edition)
»Chopin? Verwandt mit dem Chopin?«
»Ja.«
»Das hat sie sicher sehr stolz gemacht, einen Chopin zu unterrichten.«
Sie fragte mich, ob ich die gleichen Ambitionen wie mein berühmter Vorfahre hegen würde. Ich erklärte ihr, dass ich mit dem Komponieren schon angefangen hätte, bevor ich überhaupt lesen konnte. Und als sie mich um eine kleine Kostprobe meines Könnens bat, tischte ich ihr die Geschichte von dem Schuhmacher auf. Sie lachte, die alte Nöff. Ich war nicht mehr zu bremsen, ich erzählte ihr von meinem Vater Jack Moss-Chopin. Aus den Halbedelsteinen wurden Diamanten, und der King bekam eine Elefantenherde obendrein.
Vielleicht waren es die Nachwirkungen des Fiebers, aber ich glaubte mir selbst, und all meine Lügen waren in dieser Stunde wahr, für mich und für die Mutter der Klavierlehrerin.
Wie in einem Märchen setzte das Glockenspiel einer gebrechlichen Standuhr dem Zauber ein Ende. Ich holte die 23 Mark aus meiner Hosentasche und drückte sie der alten Nöff in die Hand. »Können Sie Ihrer Tochter davon Blumen kaufen? Grüßen Sie sie von mir. Und sagen Sie ihr, Eduard Moss-Chopin wird seine Schafe immer draußen lassen.«
Oma und Mama hockten vor dem Fernseher. Noch immer lag diese Anspannung in der Luft. Wir alle ahnten, dass etwas geschehen würde, ohne zu wissen, was oder wann es sich ereignen würde.
»Wie war die Klavierstunde?«, fragte Oma, ohne ihren Blick von dem Bildschirm abzuwenden.
»Ich brauche eine neue Lehrerin.«
»Warum?«
»Frau Nöff geht nach Wien, um da irgendeinen Chopin oder so zu unterrichten.«
»Chopin?«
»Mm.«
»Chopin. Bist du dir sicher?«
»Mm.«
»Edward, mach die Zähne auseinander. Weißt du überhaupt, wer Chopin war?«
»Mm. So ein Komponist. Und die Nöff soll seinen Ururenkel unterrichten.«
»Seinen Ururenkel?«
»Er heißt Eduard Chopin und noch was. Er hat einen Doppelnamen, sein Vater ist Amerikaner. Eduard ist so alt wie ich. Und er komponiert schon, seitdem er drei ist.«
Jetzt sah Oma mich an und legte ihre Stirn in Falten. »Und was soll die gute Frau Nöff diesem amerikanischen Wunderknaben dann beibringen?«
Lara Cohen hatte nichts übrig für Märchen.
»Edward, ich glaube, du hast dir da einen Bären aufbinden lassen«, sagte sie.
»Aber vielleicht…«, warf meine Mutter ein.
Omas Hals drehte sich mit einem Ruck in Mamas Richtung. »Was vielleicht, Magda?«
»Vielleicht…«
»Dann rufe ich jetzt Frau Nöff an.« Oma stand auf.
»Nein, nein. Sie trinkt, sie ist immer betrunken und krank im Kopf. Der Kopf macht, was er will. Es ist sicher alles gelogen. Nicht anrufen, bitte.«
Oma lächelte befriedigt, und Eduard Moss-Chopin zersplitterte in tausend winzige Stücke.
Abends begleitete meine Mutter Oma zu irgendeinem Essen. Ich schlich ruhelos durch die Wohnung, schaltete den Fernseher an und aus, stellte meine Autos zu einem Konvoi auf, angeführt von dem goldenen Jaguar. Ich klimperte ein wenig auf dem Klavier zu Ehren der Nöff, aber meine Gedanken waren bei den Elefanten, waren bei Jack Moss. Da schrie Moses auf dem Dachboden. Ich rannte die Wendeltreppe hinauf, riss die Tür auf. Opa saß zusammengekrümmt in dem alten Sessel. In seinen Augen ein wilder Schmerz. Ich traute mich nicht näher an ihn heran und blieb im Türrahmen stehen. Sein Körper bäumte sich auf und sackte wieder zusammen, ein fremdes, feindseliges Geschöpf schien in Moses zu toben.
»Klack, klack… das Tischbein… klack, klack, klack«, sagte er. »Hier saßen sie, an dem Tisch.« Er deutete auf eine leere Stelle in der Mitte des Raumes. »Sie wollten nicht mit, und weißt du, was ich gedacht habe? Ich habe gedacht… Ich habe gedacht, vielleicht ist es besser, dann wird es einfacher für uns. Ich habe nicht versucht, sie zu überreden. Ich war erleichtert… erleichtert. Es ist besser, habe ich gedacht, es wird einfacher«, sagte er und stand auf. »Bevor wir gegangen sind, habe ich das Tischbein repariert. Aber ich kann es noch immer hören. Klack, klack, klack… Es wird einfacher, es ist besser, habe ich gedacht. Es wird niemals aufhören… klack, klack…«
Und dann fiel Moses um. Er war nicht tot, da war noch ein kleines bisschen Leben in ihm. Mein Kopf war komplett leer, und ich legte mich einfach neben ihn. So fanden Oma und Mama uns, als sie nach Hause kamen. Chaos brach aus.
»Was hast du getan, Edward?«, brüllte meine Oma.
Lara Cohen und Magda machten einen Heidenlärm. Man hätte meinen können, dass eine ganze Meute
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