Adams Erbe (German Edition)
und beantwortete acht Telefone von acht nicht wirklich existierenden Unternehmen. So jedenfalls habe ich es in Erinnerung. Das war vielleicht kein normaler Job, aber ein Job mit geregelten Arbeitszeiten. Der King konnte mich nicht mehr unterrichten, und ich musste wieder in die Schule. Wir wohnten in einem Mietshaus, sechs Stockwerke, 18 Parteien. Unsere Wohnung lag auf der vierten Etage. Drei Zimmer, ein taubenblauer Teppichboden, auf dem sämtliche Vormieter ihre Spuren hinterlassen hatten. Das Bad war grün-gelb gekachelt, die Küche nur grün. Die Decken waren niedrig, und auf dem Balkon fanden mit Müh und Not zwei Stühle Platz. Aber unsere Augen waren für solche Dinge blind, solange Jack Moss bei uns war.
Die Schule machte mir Schwierigkeiten. Ich misstraute meinen Lehrern, irgendwie kam ich mir die ganze Zeit für dumm verkauft vor. Meine Klassenkameraden waren so nett wie uninteressant. Wir hatten nichts gemeinsam. Meistens besuchte ich nach der Schule Jack in seinem Büro. Manchmal war auch meine Mutter da, dann durften wir beide die Anrufe entgegennehmen.
Eines Abends, als wir zu dritt nach Hause kamen und im Dunkeln die Treppen hochstiegen – das Licht im Treppenhaus funktionierte nur gelegentlich –, stolperte ich auf der vierten Etage über etwas Riesiges, Weiches. Mama lief in die Wohnung und machte das Licht an. Die Masse am Boden war eine Frau in einem rosa karierten Hauskittel. Ihre Schenkel sahen aus wie zwei fleischfarbene Babywale, die sich aneinanderschmiegten.
»Ist sie tot?«, fragte Mama.
»Nein, sie atmet.« Ich stützte mich auf einen der Babywale und rappelte mich hoch. Jack beugte sich über die Frau.
»Gnädigste, kann man etwas für Sie tun?«
Ganz langsam öffnete der Koloss seine Augen, lächelte und blinzelte zweimal. »Elvis? Elvis… bin ich tot?« Ihre Stimme war tief wie die eines Mannes.
»Nein, Sie liegen im Hausflur. Wo wollen Sie denn hin, Gnädigste?«
Sie lebte in der Wohnung neben uns. An diesem Abend schlossen wir Freundschaft mit Jutta Huber, der Huberin, 57 Jahre alt, 123 Kilo schwer, dem Morphium zugeneigt und dem Alkohol nicht abgeneigt. Um ihre Sucht zu finanzieren, bestickte sie Altardecken. Die Huberin verliebte sich ebenso in Jack Moss wie alle anderen Frauen und machte keinen Hehl daraus. »Magda, wenn ich nicht aussehen würde wie ein schwangeres Beuteltier, dann müsstest du dich in Acht nehmen.«
Mama arbeitete drei Tage die Woche für die Huberin, dann saßen sie in ihrem Wohnzimmer, beide mit einem Rahmen auf dem Schoß, und stickten. Die Huberin zahlte in bar, und wenn Mama dem King ihren Lohn geben wollte, wies er die Scheine jedes Mal zurück. Sie sollte das Geld für sich behalten.
Anfangs wusste Magda Moss-Cohen nicht, was sie damit anfangen sollte, aber inspiriert durch die Huberin, begann sie, für eine Reise nach Venedig zu sparen. Die Huberin erzählte ständig von Venedig. Dort hatte sie als junges Mädchen ein halbes Jahr gewohnt, aber angesichts der Fülle ihrer Geschichten hätte man meinen können, sie hätte sechs Leben und nicht nur sechs Monate in der Lagunenstadt verbracht. Jedenfalls hatte Mama ein Ziel, das erste überhaupt, abgesehen von dem Wunsch, Mutter zu werden.
Von Lara Cohen hörten wir fast gar nichts mehr, obwohl wir ihr unsere neue Telefonnummer gegeben hatten. Unsere finanzielle Lage war einigermaßen stabil, jedenfalls blieb das Licht an.
Im Frühling sollte ich für eine Woche mit meiner Klasse in die Eifel fahren. Am Abend vor der Abreise verkündete Jack, er würde mitkommen. »Ich habe mit deinem Lehrer gesprochen, ich bin die Aufsichtsperson.« Das gefiel mir, das fand ich großartig.
Wir verabschiedeten uns von Mama, die sich nervös letzte Notizen machte, denn sie sollte Jack im Büro vertreten.
»Und wenn ich was falsch mache?«
»Wirst du nicht. Nimm die Huberin mit, die kann auch dort sticken.«
Und als ob sie ihren Namen durch alle Wände hindurch gehört hätte, klopfte die Huberin an unsere Tür. Sie trug einen blau-gelb karierten Hauskittel. Die Huberin besaß eine riesige Kollektion dieser scheußlichen Kleidungsstücke, denn sie hatte keine Lust, ihren fetten Körper in etwas anderes zu quetschen. »Der Dior macht mich auch nicht schöner«, pflegte sie zu sagen.
In der Hand hielt sie eine Tasse Kaffee mit Schuss. Der Schuss variierte, je nach Laune und Vorrat.
»Jetzt gehen also Elvis und der Junge auf Reisen?« Die Huberin nannte mich immer den ›Jungen‹, meinen Namen fand sie
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