Adams Erbe (German Edition)
um meiner Großmutter wenigstens stundenweise zu entkommen. Sie konnte weder mit einem streng geheimen Regierungsauftrag noch mit täglichem Schulunterricht aufwarten.
Am vierten Tag entführte der King seine Frau aus der Doppelsuite, und ich löste Magda ab. Sobald die Tür hinter Mama und Jack zugefallen war, begann Lara Cohen mit ihrem Kreuzverhör. Ihre Fangfragen stellte sie anfangs so ungeschickt, dass nicht mal das einfältigste Kind darauf reingefallen wäre. Aber Oma steigerte sich und erreichte schließlich Inquisitions-Niveau. Mit meinem routinierten »Das weiß ich nicht« gewann ich jedoch auch diese Schlacht.
»Edward, wenn du noch ein einziges Mal ›Das weiß ich nicht‹ sagst, dann vergesse ich mich.« Sie erhob drohend ihre Hand. Ich schaute sie an wie das unschuldigste aller Lämmer, und hätte sie mir noch ein bisschen mehr Zeit gegeben, wäre sogar eine einzelne Träne über meine weichen Kinderwangen gelaufen. Ein Kunststück, das ich fleißig übte, aber noch nicht bis zur Perfektion beherrschte. Doch der Lämmerblick reichte. Omas Hand senkte sich, und Scham rötete ihr Gesicht.
Schweigend saßen wir nebeneinander. Sie legte den Arm um meine Schultern und sagte: »Edward, du bist noch ein Kind. Du hast keine Schuld. Aber so…«, ihr Blick wanderte durch den Raum, »…so kann man doch nicht leben.«
Ich sah einen feuerspeienden Vulkan, und meine Beine wollten tanzen, für immer tanzen.
Als Mama und ich am siebten Tag von Lara Cohen Abschied nahmen, blieben wir drei einen Moment lang voreinander stehen und suchten etwas im Gesicht unseres Gegenübers und konnten es doch nicht finden.
Wir streiften noch ein halbes Jahr quer durch die Bundesrepublik, bis sich eines Tages die Babyboot-und-Schwimmflügel-Firma einfach auflöste. Niemand kam, um die letzte Ladung, die wochenlang in unserer Wohnung herumstand, abzuholen.
Eines Nachts packte Jack die Kartons in den schwarzen Volvo. Es war nach Mitternacht, als er die erste Fuhre im Auto verstaut hatte. »Ich nehme Ed mit«, sagte Jack.
»Eddylein, zieh dir eine Jacke an, es ist kalt.«
Magda Moss-Cohen wäre niemals auf die Idee gekommen, sich um ihren elfjährigen Sohn Sorgen zu machen, solange der King bei ihm war.
Wir fuhren zu einem Schrottplatz außerhalb der Stadt. Ein riesiger Müllberg auf einem verlassenen Grundstück. Jack hievte die Kartons aus dem Volvo, und ich half ihm, so gut ich konnte.
»Ed, ich werde jetzt zurückfahren und das restliche Zeug holen, und du wirst hierbleiben und Wache halten.«
Ich hatte Angst, Jack muss es mir angesehen haben.
»Hör mal, wenn ich glauben würde, dass du dieser Aufgabe nicht gewachsen wärest, dann hätte ich jemand anderen mitgenommen. Aber ich habe dich ausgewählt. Dich.«
Stolz mischte sich in meine Angst, und der Stolz verdrängte die Angst. Ich hockte mich auf einen der Kartons, Jack legte eine Decke um meine Schultern. »Ed, verteidige die Babyboote mit deinem Leben.«
»Das werde ich, das werde ich«, rief ich ihm hinterher. Niemand kam, um mir die Schwimmflügel zu entreißen, aber wäre jemand gekommen, ich hätte das Plastikzeug tatsächlich mit meinem Leben verteidigt, denn Jack Moss hatte mich auserwählt. Nur die Ratten störten die Stille der Nacht, der Schlag ihrer Herzen verlieh dem Müllhaufen etwas Lebendiges. Er schien zu atmen. Und vielleicht weil es keine anderen Feinde gab, behielt ich ihn im Auge, unsicher, ob dieser Riese sich nicht doch noch erheben würde, um meine Kisten zu verschlucken. Erst das Dröhnen des Volvomotors erlöste den unschuldigen Müllberg von meinem misstrauischen Blick.
Wir schichteten die Kartons zu einer Pyramide, dann kippte Jack einen Kanister Benzin darüber. Feierlich überreichte er mir sein Feuerzeug, und ich durfte den Stapel in Brand setzen.
Ein süßer, berauschender Duft vermengte sich mit den giftigen Plastikdämpfen. Wir saßen in sicherer Entfernung auf der Kühlerhaube, die Zigaretten in unseren Mundwinkeln qualmten mit den schmelzenden Booten um die Wette. Die säulenhohen Flammen verschlangen auch den letzten Schwimmflügel, und zurück blieben nur ein paar undefinierbare Klumpen. Wir warteten, bis die Glut vollkommen erloschen war, bevor wir uns, begleitet von den ersten Sonnenstrahlen, auf den Heimweg machten.
Das war das Ende unseres Vagabundenlebens. Wir zogen in die Nähe von Köln. Jack hatte einen neuen Job, nicht ganz so geheimnisvoll wie die Sache mit den Babybooten. Er saß allein in einem fast leeren Büro
Weitere Kostenlose Bücher