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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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vergangenen Vergangenheit, deren Strahlen den fetten Körper der Huberin noch erwärmten.
    In Berlin fiel die Mauer. Wir sahen die Bilder im Fernsehen. Die Stadt, in der ich geboren worden und aufgewachsen war, änderte ihr Gesicht. Im selben Jahr brachte Lara Cohen Unruhe in mein Leben. Bar-Mizwa. Auf einmal lag Oma eine ganze Menge an meinem Glauben.
    »Du bist Jude. Es gibt Gesetze für dich«, sprach die Dame, die, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, die nichtkoschere Winkie verspeist hatte.
    Ich hatte keine Lust auf diese Bar-Mizwa. Jack hielt sich aus der Diskussion heraus, und Mama sagte immer nur: »Das soll Eddylein selber entscheiden.«
    Mehrmals täglich rief Lara Cohen an, um an mein Gewissen zu appellieren. »Moses hätte es so gewollt.«
    Mein armer Großvater. Er hatte so viel gewollt und das meiste doch nicht bekommen.
    »Edward Cohen, dieser Glaube ist dein Erbe. Es ist deine Pflicht, es anzutreten«, schrie sie ins Telefon.
    Aber ich war schon lange nicht mehr Edward Cohen.
    Ich war Ed Moss-Cohen, der nichtbiologische Sohn des einzigen Gottes der Elefanten. Ich war der Junge, der mit zugeschwollenem Auge einen schwarzen Volvo lenken konnte. Ich war das Kind, das eine Packung Zigaretten am Tag rauchte. Mir fehlte nichts und schon gar nicht eine Bar-Mizwa. Ich wollte nichts erben. Damals wusste ich noch nicht, dass man sich nicht aussuchen kann, ob oder was man erbt.
    Nach ein paar Monaten teilte ich Oma mein endgültiges Nein mit. Sie legte auf und rief nie wieder an.
    Es war ein ganz normaler Dienstag. Mein Geschichtslehrer referierte über Napoleon. Niederlagen und Verbannung. Ich habe ihm kein Wort geglaubt. Denn den wahren Napoleon hat niemand geschlagen, niemand besiegt.
    Ich verließ die Schule nach der sechsten Stunde, so wie jeden Dienstag. Die Huberin wartete in einem Taxi vor dem Tor. Das war noch nie vorgekommen. Ich war fünfzehn.
    Vier Tage schwebte Jack Moss zwischen Leben und Tod. Ein Auto hatte ihn angefahren. Ein Auto! Ein Auto! Wie kann ein lächerliches Auto einem Gott etwas anhaben?
    Mama und ich saßen an seinem Bett. Wir weinten nicht, weil wir uns nicht vorstellen konnten, dass er uns tatsächlich verlassen würde. Aber er ging. Er starb einfach wie ein gewöhnlicher Mensch. Es war, als hätte jemand einen Schleier heruntergerissen. Die Welt zeigte nun ihr wahres, hässliches Gesicht. Wir fuhren nach Hause und betraten die Wohnung. Beim Anblick des blauen, verdreckten Teppichbodens schüttelte es mich vor Ekel.
    Die Huberin verzichtete auf ihr Morphium, bis wir Jack Moss unter die Erde gebracht hatten, und übernahm die ganze Organisation. Mama rief Lara Cohen an, und Oma bestand darauf, zur Beerdigung zu kommen.
    Wir verbrannten den einzigen Gott der Elefanten. Die Urne wurde unter einem Baum verbuddelt, ohne Grabstein.
    Zu viert nahmen wir Abschied. Eine Platte des echten Elvis erklang in der kleinen Kapelle, und ich klatschte im Takt, als könnte ich, wenn ich nur laut genug wäre, den falschen Elvis aufwecken und zurückbringen. Meine Mutter sang zusammen mit dem Helden ihrer Jugend für die Liebe ihres Lebens. Die Frau des Kings sah bezaubernd aus in ihrem grünen Morgenmantel. Lara Cohen im schwarzen Kaschmirkleid machte ein andächtiges Gesicht. Die Huberin trug einen marineblauen Hauskittel und streichelte die Hand meiner Mutter.
    Oma wollte, dass wir mit ihr nach Berlin zurückgingen, aber Mama schlug das Angebot höflich aus. Vor ihrer Abreise hielt Lara Cohen es allerdings für nötig, uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir wie Asoziale lebten. Das Haus, asozial. Die Wohnung, asozial. Die Huberin, unsere treue Freundin, die Essenz alles Asozialen. Beleidigt stieg meine Oma in den Zug nach Berlin. Und es sollten erneut viele Jahre vergehen, bis ich sie wiedersah.
    Wir zogen in die Wohnung der Huberin, Mama stieg als Partnerin ins Altardecken-Business ein. Ich wunderte mich über die Stärke meiner Mutter. Sie zerbrach nicht an Jacks Tod. Die Jahre mit dem King wurden ihr Venedig. Das Erlebte ein Feuer, das sie für immer wärmen sollte.
    Ich war zu jung, um mir ein Venedig zu schaffen, und zu jung, um mich nicht bestraft zu fühlen. Der Schmerz war ein gieriges Tier, das in mir lebte und sich von meinem Fleisch ernährte. Ein launisches Wesen. Manchmal stillte es seinen Hunger sanft und gleichmäßig, und ich spürte nur ein leichtes Ziepen. Dann gab es Tage, an denen es seine mächtigen Scheren fast schon boshaft in meine Eingeweide bohrte. Anfangs schlief es

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