Adams Erbe (German Edition)
meiner Therapie.
Die undefinierbare Unruhe, die seit Beginn des Jahres in der Luft lag, erreichte ihren Höhepunkt, als die Flugzeuge ins World Trade Center knallten. Eigentlich gab es keinen Zusammenhang zwischen den einstürzenden Türmen, den aufgeregten Wochen danach und dem Wandel in unserem Leben, es geschah nur zur gleichen Zeit. Unsere Wohngemeinschaft löste sich auf. Udo war der Erste, der seinen Auszug verkündete, am Abend des 11. Septembers.
Drei Wochen später stand Herr Maszuk vor der Tür. Groß, stark und immer noch verdammt lebendig.
Während Hendrik sich ein Hemd überzog, lief sein Vater in unserem Wohnzimmer auf und ab. Er ging zum Tisch und nahm einen meiner Teufelsföten hoch.
»Was ist das?«, fragte er streng.
»Sorgenpüppchen.«
»Kenn ich nicht. Aber das gefällt mir. Was willst du dafür haben?«
»9 Mark«, schoss es aus mir heraus.
Er bezahlte anstandslos und wiegte das schwarze Monster zärtlich in der Hand, als wäre es lebendig.
»Das gefällt mir«, sagte er noch einmal.
Dann kam Hendrik mit tapsigen Schritten und folgte seinem Vater nach draußen.
Es war Mitternacht vorbei, als er mit einer gereckten Siegesfaust das Wohnzimmer betrat. Das Maszuk’sche Imperium sollte um ein Büro in Berlin erweitert werden.
»Und ich soll es leiten. Krass, oder?«
»Ja«, antwortete ich. »Und was genau musst du da machen?«
»Häuser kaufen. Häuser abreißen lassen. So was halt.«
»Und dein Studium?«
»Darf ich offiziell abbrechen.«
»Wieso das denn?«
»Hat irgendwas mit dem 11. September zu tun und der Börse. Keine Ahnung. Er meint, dass ein Studium momentan pure Zeitverschwendung sei.«
»Verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht, aber das ist doch auch scheißegal.«
Zu Hendriks neuem Leben sollte nicht nur ein Büro gehören, sondern zudem eine eigene Wohnung, ein Dienstwagen und ein fürstliches Gehalt.
Dani saß schweigend auf dem Sofa, während Hendrik mit roten Ohren von der zukünftigen Herrlichkeit schwärmte. Erst als er zum achten Mal wiederholte, dass er sich das Auto aussuchen dürfe, unterbrach sie ihn.
»Dann ziehen wir wohl alle aus.«
Auch wenn wir es nicht wollten, wir verloren einander. Nicht augenblicklich, nicht plötzlich, sondern nach und nach. Groll mietete sich ein Zimmer in einer Dachwohnung und schrieb. Udo zog mit seinem Freund zusammen und entwarf seine erste Badehosenkollektion. Hendrik kaufte Häuser und fuhr einen Jaguar, um den ich ihn so sehr beneidete, dass es weh tat. Dani fing wieder an, bei einem Graphikdesigner zu arbeiten, und versuchte Hendrik zu vergessen.
Ich eröffnete mein erstes Geschäft. Ich nannte den Laden TEUER . Die Teufelsföten, die ich in Gothic-Sorgenpüppchen umtaufte, legte ich zu dritt in eine Art selbstgebasteltes Nest und verkaufte sie für 26 Mark, später für 19 Euro 90. Anfangs lachte ich noch, über mich, meine Ware und meine Kunden. Aber dann wurde ich Teil dieses Schwachsinns und nahm es ernst, mich, meine Föten und die Menschen, die mir ihr Geld nachwarfen. Ich gehörte dazu, zu den Machern dieser Stadt.
Werden wir zwangsläufig das, was andere in uns sehen? Einmal kam Groll in meinem Laden vorbei. Seine Augenringe waren noch schwärzer und tiefer als sonst. Er wirkte gehetzt und wollte sich zwanzig Euro leihen. Ich gab ihm fünfzig, in der Hoffnung, dass er gleich wieder gehen würde. Sein dankbares Lächeln löste Beklemmungen in mir aus. Und mein Fuß zuckte.
»Eddy, hast du nicht manchmal das Gefühl, dass da was falsch gelaufen ist?«
»Brauchst du mehr als fünfzig Euro?«, fragte ich.
»Hast du niemals das Gefühl?«
In dem Moment kam ein Schwung Menschen herein, und ich blieb Groll eine Antwort schuldig. Erst als ich vier Fötennester verkauft hatte und der Laden sich leerte, bemerkte ich, dass er nicht mehr da war.
Ein paar Wochen später lag ein Umschlag mit fünfzig Euro in meinem Briefkasten. ›Danke‹, stand auf einem Zettel. Mehr nicht.
Ab und zu holte mich Hendrik mit seinem Jaguar ab und zeigte mir die Häuser, die er gekauft hatte oder noch kaufen würde. Dani sah ich selten, aber wir telefonierten häufig. Jedes Mal erkundigte sie sich bemüht beiläufig nach Hendrik, ob er nach ihr gefragt habe, und ich musste sie immer wieder enttäuschen. Eines Abends sagte sie mir, dass sie jetzt einen Freund habe.
»Gratuliere, Dani.«
Und dann weinte sie am anderen Ende der Leitung. Ich überhörte es, ihr zuliebe, mir zuliebe. Es war für lange Zeit unser letztes
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