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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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Huberin.
    Als ich mich verabschiedete, überreichte Mama mir eine Altardecke. »Für Oma. Das ist eine von den teuren, weil Jesus ein richtiges Gesicht hat. Man braucht 25 verschiedene Brauntöne, um das so hinzukriegen«, sagte Magda Moss-Cohen stolz. »Sie kann es als Tischdecke benutzen.«
    »Mama, ich glaube, dafür ist sie zu jüdisch.«
    »Wir haben auch eine in der Küche, und die Huberin ist Atheistin. Er hat ein so hübsches Gesicht.«
    Ich betrachtete Jesus ein wenig genauer, denn seine Züge erinnerten mich an jemanden. Und dann machte es klick. Ich musste lächeln. Der King mit einer Dornenkrone. Von den Sizilianern ans Kreuz genagelt. Unsterblich.
    »Und das ist für dich.« Ich bekam keine Altardecke, sondern 9640 Mark in kleinen Scheinen. Ihre gesamten Ersparnisse.
    30. Dezember 1999. Ich habe Berlin zusammen mit dem King und seiner Frau in einem schwarzen Volvo verlassen und bin an diesem Tag in einem silbernen Audi-Kombi von Sixt mit einer Altardecke im Rucksack zurückgekehrt. Hendrik saß am Steuer. Entgegen allen Befürchtungen war Herr Maszuk begeistert gewesen, dass sein Sohn in der Hauptstadt sein Studium beenden wollte.
    Zur Jahrtausendwende wurde anscheinend in sämtlichen Dörfern Deutschlands ein Befehl an eine ganze Generation erteilt: Berlin. Berlin.
    Wir alle folgten diesem Ruf.
    Wir gehörten nicht zu den Pionieren, die gleich nach dem Mauerfall angerückt waren, um Berlin zu erobern. Aber die Pioniere hatten uns Nachzüglern genug übriggelassen.
    Wir wohnten zu fünft in einer 220 Quadratmeter großen Wohnung, Hendrik, Dani, Groll, ich und Udo, ein alter Freund von Groll.
    War es die Stadt oder die Erwartung, die die Luft zum Vibrieren brachte und bei uns allen den Wunsch auslöste, uns auszudrücken? Groll schrieb Gedichte, Udo entwarf Hosen, Dani liebte Hendrik, und Hendrik vögelte die halbe Stadt. Nur ich wusste noch nicht recht, was ich anstellen sollte. Das rosige Fleisch blieb namenlos.
    In unserer Wohnung herrschte ständiger Hochbetrieb. Fast jeden Abend versammelte sich hier eine Schar angehender Künstler, Glücksritter, Aufschneider und Alkoholiker. Eine Bande im freien Fall, alles war möglich. Wir nahmen uns selbst nicht ganz so ernst und umschifften jede Endgültigkeit. Man durfte scheinen.
    Danis Zimmer lag direkt neben meinem. Fast jede Nacht schliefen wir miteinander, und danach schrie sie mich an. Sagte mir, dass ich sie langweilen würde, dass jetzt ein für alle Mal Schluss damit sei. Dabei war sie es, die immer wieder mein Bett aufsuchte. Damals ahnte ich noch nicht, wie unglücklich sie wirklich war. Wir glaubten, Dani würde noch mit uns fliegen, obwohl sie längst auf dem Boden aufgeknallt war.
    Ich ließ mir Zeit, bis ich meiner Großmutter einen Besuch abstattete. Aber an einem Frühlingstag stand ich unangemeldet vor dem Haus meiner Kindheit. Die Tür unten war offen, und ich lief die Treppen hoch, drückte die Klingel, hörte ihre Schritte und wäre am liebsten abgehauen. Auf den ersten Blick hatte sie sich nicht verändert, aber wenn man genauer hinsah, entdeckte man die Hautlappen, die an ihrem einst makellosen Hals herunterhingen.
    Drinnen hatte sich überhaupt nichts verändert. Die drei fetten Engel grinsten so dumm wie eh und je, und ich hörte den letzten Ton in der Luft verhallen, den Jack Moss auf unserem Klavier gespielt hatte. Ich hörte Mamas Lachen und Elvis’ Stimme.
    »Edward, hörst du mir überhaupt zu? Ich habe dich gefragt, ob deine Mutter noch immer mit dieser Person zusammenwohnt?«
    »Ja.«
    »Sie hätte zurückkommen können.«
    »Sie ist glücklich.«
    Lara Cohen lachte. Auf den Punkt genau. »Edward, was weißt du schon von solchen Dingen.«
    Ich hätte ihr gerne ins Gesicht geschlagen, aber ich holte Jesus aus dem Rucksack.
    »Hier, für dich.«
    »Was, um Gottes willen, ist das?« Sie breitete das Tuch mit spitzen Fingern aus, und die Hautlappen an ihrem Hals zuckten ein wenig.
    »Ein Geschenk von deiner Tochter. Eine Altardecke, eine von den teuren. Man braucht 25 verschiedene Brauntöne, um sein Gesicht so hinzubekommen.«
    Jack Moss lächelte ihr entgegen. Unsterblich. Oma legte die Decke wortlos zur Seite.
    Das Telefon klingelte, und sie ließ mich allein.
    Eigentlich wollte ich nur in mein Kinderzimmer gehen, aber ich blieb an der Treppe zur Bibliothek stehen. Wie unter Zwang stieg ich die Stufen hoch.
    Ich rüttelte an der Klinke, vergeblich.
    »Edward, habe ich dir nicht gesagt, dass du nie, nie wieder da hochgehen

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