Adams Erbe (German Edition)
ihm eines der Gläser zu, und er bog seine Finger zurecht. Ein wenig Asbach tropfte auf Heydrichs Bild, das zwischen ihnen auf dem Tisch lag, und es sah aus, als ob der Polizeichef weinen würde.
»Frau Klingmann, wissen Sie eigentlich, was ich alles riskiere mit meinen ständigen Besuchen bei Ihnen?«
Edda erhob ihr Glas, und Busslers tote Maus mit den beweglichen Schwänzchen tat es ihr nach. Es war schwer zu sagen, ob hier zwei Menschen ihre Freundschaft besiegelten oder voneinander Abschied nahmen. Und wahrscheinlich wussten sie es selbst nicht genau.
Es sollte lange dauern, bis wir ihn wiedersahen.
An dem Tag, als Arthur Neville Chamberlain britischer Premierminister wurde, zeigten sich die ersten Keimblätter meiner ungetauften Kreuzung, was Artur Marder gleichermaßen in Verwunderung und Entzücken versetzte. Damit hatte er erst Ende Juni gerechnet. Wir schleppten die Töpfe in ein anderes Gewächshaus, denn jetzt brauchte meine Brut Wärme und Licht. »Und wenn das erste richtige Blattpaar erscheint, müssen wir die Sämlinge umtopfen. Das kann allerdings noch bis September dauern.«
Doch wieder sollte Marder ein Wunder erleben, denn keine sechs Wochen später wuchsen die ersten Blattpaare, grün und prall. Jedes Paar bekam seinen eigenen Kübel, und als wir mit der Arbeit fertig waren, blickte er traurig auf die Pötte, in denen ›Gudruns Erwachen‹ schlummerte.
Und dann kam 1938. Das Jahr, in dem auch Eddas weite Flügel mich nicht mehr vor der Geschichte schützen konnten.
1938. Das Jahr, in dem du, Anna, mir begegnet bist. Und jetzt und hier, während ich schreibe, hallen Artur Marders Worte in meinem Kopf: »Wir suchen nach den Menschen, die uns begegnen, nicht wahr?« Aber das ist jetzt.
1938. Österreich wurde Hitlerland, und in der Tschechoslowakei begann es zu brodeln. Eddas Mischpoke löste sich fast vollständig auf. Einige wanderten aus. Hupfi tauchte unter, und sein bester Freund Michael wurde verhaftet. Manche kamen einfach nicht mehr, vielleicht weil wir Juden waren.
Im Frühling befahl Edda die ganze Familie auf ihren Dachboden. Mutter, Moses, mich und Kieler, der seit einigen Monaten in Vaters Zimmer wohnte. Doktor Kieler hatte seine Praxis verkaufen müssen, da ihm nur wenige Patienten die Treue gehalten hatten. Sein zuvor stattliches Einkommen schrumpfte, und er konnte sich seine Wohnung nicht mehr leisten. Unser neuer Mitbewohner versetzte Greti Cohen in eine fast hysterische Hochstimmung. Ihre uneingeschränkte Bewunderung sorgte dafür, dass Kielers Ego trotz seiner misslichen Lage nicht ernsthaft Schaden erlitt. Sie leckte seine Wunden. Nur seinen kranken Darm konnte Greti nicht gesundlecken.
Wir versammelten uns um Eddas wackeligen Tisch, und während sie jedem einen Asbach eingoss, wechselte meine Mutter zweimal den Platz, weil sie nicht auf unsere Wand gucken wollte.
»Meine liebe Familie«, sagte Edda und sah jedem von uns kurz in die Augen. »Ich werde morgen früh in die Schweiz fahren, um unsere finanziellen Angelegenheiten zu klären. Sollte ich in sechs Wochen nicht zurück sein, sollte mir etwas geschehen, dann möchte ich, dass ihr euch an Herrn Guldner wendet. Er wird euch dann über alles Weitere unterrichten.«
»Sind wir bankrott?«, fragte Moses.
»Nein, aber wahrscheinlich werden wir uns ein wenig einschränken müssen.«
»Frau Klingmann, wie… Also woher kommt das Geld eigentlich… Ich meine…«
»Das geht Sie nichts an, Herr Doktor.«
»Aber mich«, sagte Greti aufsässig. Sie ertrug es einfach nicht, wenn jemand Kieler das Wort abzuschneiden wagte.
»Nein, das geht euch alle nichts an.«
Der Doktor reckte das schöne Haupt. »Ich wundere mich nur, denn es existiert noch nicht mal ein Bankkonto und trotzdem…«
»Wundern Sie sich, wundern Sie sich, soviel Sie wollen, aber hören Sie auf mit der Fragerei.«
Wieder wollte Greti einschreiten, aber der Blick ihrer Mutter ließ sie verstummen.
»Dieses Tischbein müsste auch mal repariert werden«, sagte Kieler. Er musste einfach immer das letzte Wort haben.
Schweigend leerten wir unsere Gläser, und dann klatschte Edda in die Hände. »Das war es, ihr könnt gehen.« Aber mir legte sie die Hand auf die Schulter. Ich blieb sitzen.
Edda holte eine Fotografie hervor. Ein Porträt von Bussler. »Was siehst du, Adam?«
Erst jetzt bemerkte ich, dass der Sturmbannführer mir wirklich fehlte. Dennoch konnte ich es ihm nicht verzeihen, dass er sich einfach aus unserem Leben gestohlen hatte.
»Einen
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