Adams Erbe (German Edition)
Anna zweimal, und ich spürte, dass mein Moment nahte.
»Ich? Ich denke nichts, nie. Ich denke gar nichts… Niemals.«
Anna stand auf, und ich verließ die Rothaarige, ohne mich zu verabschieden.
Ben nahm mein Angebot, ihn zu vertreten, dankbar an.
Anna rannte die Treppen hinunter.
»Ich kann sehr gut alleine auf mich aufpassen«, sagte sie, als wir auf der Straße standen.
»Ja, ja, das denke ich mir. Ich will ja auch nicht auf dich aufpassen, oder?«
Sie lächelte, aber die Traurigkeit wollte nie völlig aus ihren Augen verschwinden.
»Ach Adam, du bist ein guter Junge.« Sie lief nicht mehr ganz so schnell.
»Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht.«
Wieder ein Lächeln.
»Dann erzähl mir was von dir. Was machst du, gehst du noch zur Schule?«
»Ich bin noch nie zur Schule gegangen.«
»Du lügst.«
»Nein.«
Sie holte eine Packung Zigaretten aus ihrer Handtasche und zündete sich eine an.
»Willst du?«
Und mit Anna rauchte ich meine erste Zigarette.
»Also, Adam, was machst du?«
»Ich bin der Gehilfe eines Rosenzüchters.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Ist das anstrengend?«
»Nein, eigentlich liege ich beinahe den ganzen Tag auf einer Wiese rum.«
Sie lachte. »Du lügst doch.«
»Nein, das ist die Wahrheit. Und du, was machst du?«
»Ich arbeite als Näherin.«
Wir drosselten unser Tempo so sehr, dass ein Einbeiniger ohne Krücken uns problemlos hätte überholen können.
»Und war das dein Traum, der Gehilfe eines Rosenzüchters zu werden?«, fragte Anna.
»Nein.«
»Was war dein Traum?«
»Ich hatte keinen.«
»Träumst du denn nie, Adam?«
»Doch, die ganze Zeit. Und du, wolltest du immer Näherin sein?«
»Nein.«
»Sondern?«
»Ich… ich wollte Ben heiraten.«
Es war hässlich, aber innerlich tobte ich vor Freude, dass Annas Traum nicht in Erfüllung gegangen war.
»Und träumst du auch von Israel? Wie die anderen?«, fragte ich leise.
»Ich denke nicht, nicht richtig jedenfalls. Aber manchmal habe ich Angst vor… vor dem, was hier vielleicht noch passieren kann. Meine Eltern haben Schwierigkeiten mit ihren Papieren, sie sind in Polen geboren… Ich würde gerne ohne Angst leben…«
Dann nahm ich ihre Hände und küsste sie, weil ich keine Worte fand, weil ich ihr die Angst nehmen wollte und weil ich mich nicht traute, ihren Mund zu küssen.
»Wir sind gleich da«, sagte Anna und entzog mir ihre Hände. Die letzten Meter rannte sie, und erst vor dem Hauseingang holte ich sie ein. Mit einem Satz sprang ich vor die Tür und versperrte ihr den Weg.
»Anna, bitte bleib… bitte, nur ein paar Minuten.«
Zuerst dachte ich, sie würde mich einfach zur Seite schieben, aber sie blieb tatsächlich stehen.
»Gut«, sagte Anna, »ein paar Minuten.«
Sie neigte ihren Kopf zur Seite und sah mich an. »Und jetzt, Adam? Was jetzt?«
Ich fühlte mich wie ein Kasper auf einer Bühne, der sein Publikum schon viel zu lange warten lässt. Ich räusperte mich.
» Der schöne Mund vom Strund. Ein Gedicht von Adam Cohen.
Der Strund, der Strund, er hat einen schönen Mund…«
Vielleicht hatte Moses recht, und die meisten Dichter verhungerten einfach, aber galt Poesie nicht immer schon als unschlagbare Waffe, um das Herz einer Frau zu erobern? Während ich das einzige Gedicht, das ich je auswendig konnte, aufsagte, lachte Anna. Dieses Lachen kam aus der Welt, die sich hinter der schwimmenden Traurigkeit verbarg.
Am nächsten Tag tauchte der Sturmbannführer in Marders Reich auf. Und nachdem er ein paar Sätze mit Artur gewechselt hatte, machte er zu dessen Erleichterung den Vorschlag, dass der Gehilfe ihm doch die Gewächshäuser zeigen könnte.
Bussler umarmte mich wie den verlorenen Sohn.
»Hast du etwas von Edda gehört?«, fragte er.
»Nein.«
Nervös bog er seine Finger in alle möglichen Richtungen. Dreimal holte er Luft und flüsterte schließlich: »Adam, ich bin euer Freund.«
»So gut es halt geht, Herr Sturmbannführer, nicht wahr?«
»Ich bin hier, oder?«
»Ja, das sind Sie.«
»Und ich habe mein Versprechen gehalten.«
Ich wusste nicht, was er meinte, aber es klang so feierlich, dass ich nickte.
»Vielleicht kannst du meine Verehrung für den Führer nicht verstehen, aber gleich nach Hitler kommt Frau Klingmann.«
»Bussler«, platzte es aus mir heraus. »Edda würde sich totlachen oder Ihnen den Kopf abreißen, wenn sie das hören würde.«
Der Sturmbannführer errötete. »Ich wollte damit nur sagen, dass…«
»Es ist in Ordnung,
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