Adams Erbe (German Edition)
fragte, ob ich ihn zu einem Treffen seiner zionistischen Gruppe begleiten wolle, sagte ich ja. Warum sollte ich meinem Bruder nicht für ein paar Stunden in seine Welt folgen?
Etwa zwanzig Leute befanden sich in einem spärlich beleuchteten Zimmer. Sie standen oder saßen in kleinen Grüppchen beisammen und diskutierten. Sie alle teilten einen Traum. Den Traum von einer Heimat, den Traum von einem eigenen Staat. Die Ernsthaftigkeit, mit der gesprochen wurde, mit der Nachrichten von Freunden, die bereits in Palästina waren, ausgetauscht wurden, ermüdete mich. Es war, als lauschte man sehr langen Berichten in einer Sprache, die man nicht verstehen konnte. Ich stand am Fenster neben Moses. Er redete mit Ben und zwei anderen, deren Namen ich vergessen habe.
Wie verlockend sah doch an diesem Abend meine Stadt aus, die sich unten vor dem Fenster erstreckte. Groß und weit. Das Gegenteil dieser deprimierenden Veranstaltung. Ich starrte auf die glitzernden Straßen, und die Stimmen im Zimmer verschmolzen ineinander, waren nur noch Klang.
»Ben, ich geh jetzt nach Hause.« Diese Worte holten mich zurück. Vielleicht, weil das endlich ein Satz war, den auch ich verstand. Sie wollte nach Hause, und ich war mir sofort sicher, dass sie nicht Palästina meinte, sondern ein Zuhause irgendwo da unten in meiner Stadt.
»Anna, warte doch noch ein bisschen, dann begleite ich dich, es ist schon dunkel. Ich will nicht, dass du alleine durch die Gegend läufst.«
»Ich kann dich nach Hause bringen«, sagte ich zu Anna, weil ich mich danach sehnte, dieses Zimmer zu verlassen, und weil ich noch nie so traurige Augen gesehen hatte.
Nach einigem Hin und Her bekam ich schließlich die Erlaubnis, sie zu begleiten.
»Dann komm«, sagte Anna mit einem spöttischen Lächeln.
Auf der Straße hatte ich Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Aber ich schob mein Fahrrad neben ihr her. Weil ihre Augen, als sie mich ansahen, etwas in mir berührt haben. Eine Berührung, die aus Schreibern Poeten und aus Klavierstimmern Komponisten machen kann. Die jedes ›weil‹ in eine lächerliche Phrase verwandelt.
»Wie alt bist du eigentlich?« Der Spott wollte nicht von ihren Lippen weichen.
»Achtzehn.«
»Du siehst aus wie höchstens fünfzehn.«
»Und wie alt bist du?« Endlich hatte ich sie eingeholt.
»Achtzehn.«
»Dann sind wir gleich alt.«
Anna lachte, ganz ohne Hohn, und hinter der schwimmenden Traurigkeit ihrer Augen lag eine ganze Welt. Ihr Mund, als er mich anlachte, hat etwas in mir berührt. Eine Berührung, die aus Narren Helden und aus Helden Narren machen kann.
»Ist Ben dein Freund?«
»Warum willst du das wissen?«
»Nur so.«
»Ich wüsste nicht, was dich das angehen sollte. Ich kenne dich überhaupt nicht.« Und dann beschleunigte sie ihren Schritt wieder. Anna hatte es eilig, an ihr Ziel zu gelangen, während ich hoffte, dass wir niemals ankommen würden.
»Hier wohne ich.« Das kam so plötzlich, dass ich fast über mein Fahrrad gefallen wäre. Wir hielten vor der Tür, und dein Gesicht, Anna, war wie ein Bild, das ich schon immer kannte und das auf einmal seinen Rahmen verlassen hatte und nun unheimlich lebendig vor mir stand.
»Gute Nacht und danke, Adam.«
Aber bevor sie durch die Tür schlüpfen konnte, hielt ich sie fest. »Tut mir leid, dass ich gefragt habe, ob… Ich… ich wünschte, ich würde dich kennen.«
»Gute Nacht.«
Und ganz behutsam löste Anna meine Finger von ihrem Arm.
Ich weiß nicht, wie lange ich noch vor ihrer Tür verweilte, aber als ich zu Hause ankam, war mein Bruder schon da.
Ich fühlte mich wie Bussler in Marders Reich, der so überzeugend den Rosenfreund gemimt hatte, als ich Moses mein neu erwachtes Interesse für Zion offenbarte.
Beiläufig fügte ich hinzu: »Bens Freundin ist wirklich nett.«
»Wer?«
»Anna.«
»Anna ist nicht Bens Freundin.«
»Ach so.«
»Sie war einmal Bens Freundin.«
Fünf Tage später war das nächste Treffen. Ich saß auf einem wackeligen Stuhl und konnte sie die ganze Zeit beobachten. Ich habe in Annas Gesicht gelesen, während mir ein aufdringliches rothaariges Mädchen ihre Lebensgeschichte erzählte.
Ungeduldig wartete ich darauf, dass Anna aufstand, um sich auf den Heimweg zu machen, und setzte alle Hoffnungen darauf, dass Ben wieder als Begleiter ausfallen würde.
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte mich die Rothaarige.
»Natürlich.«
»Ich habe dich was gefragt.«
»Ja… was denn?«
»Was denkst du darüber?«
Und dann gähnte
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