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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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öffnete sich: ein schmutziges Händchen. Ein Fuß in einem zerlumpten Stiefel.
    Und dann stand Herakles vor mir: eine mit Sommersprossen übersäte Nase. Tellergroße grüne Augen, die mich wachsam begutachteten. Manchmal glaube ich, dass auch er ein Seher war, vielleicht sogar der bessere von uns beiden.
    Er brauchte nicht lange, um sich zu entscheiden – Freund oder Feind? Herakles streckte seine Hand aus, und ich reichte ihm die meine. »Eins, zwei, drei«, sagte er und riss meinen Arm dreimal in die Höhe.
    »Sei nicht so albern, Herakles«, sagte Menden.
    »Der Professor hat die Kartoffeln geklaut«, rief der kleine Junge, zog die dünnen Schultern hoch und lachte laut los.
    »Du bist ein schlimmes Kind, Herakles.«
    »Aber es ist die Wahrheit.«
    Menden schaute weg. »Der Hunger«, seufzte er.
    Weder der Professor noch Frau Blemmer konnten sich erinnern, seit wann und warum Herakles bei ihnen lebte. Eines Tages war das Kind da gewesen und ging nicht mehr fort. Es hatte keinen Namen und kein Alter. Menden hatte ihn Herakles getauft und den 1.   Januar 1935 zu seinem Geburtstag erklärt. »Das Datum kann man sich gut merken«, meinte Menden.
    Herakles wohnte im Schrank.
    Einmal hatte Frau Blemmer versucht, ihn im Waisenhaus des Ghettos unterzubringen, aber noch am selben Abend kam er wieder zurück.
    Herakles war ein kluges Kind. Er konnte sich durchschlagen und brachte von seinen täglichen Streifzügen durch das Ghetto dieses und jenes mit. So hatte er sich sein permanentes Wohnrecht in dem Schrank der Dreizimmerwohnung erkauft.
    Herakles kannte kein Damals. Er hatte keine Erinnerungen an eine Zeit vor dem Ghetto, keine Erinnerung an Menschen, die er vielleicht einmal geliebt und verloren hatte. Für ihn war es das Normalste der Welt, in einem Schrank zu wohnen. Und der dreckige Waschraum auf der oberen Etage war das einzige Badezimmer, das er jemals gesehen hatte.
    Hunger, Schmutz und kaputte Stiefel gehörten ebenso zu seinem Alltag wie die Einsamkeit.
    Er hielt sich fern von den anderen Ghetto-Kindern.
    Diejenigen, die bei ihren Eltern oder Verwandten lebten, blieben ihm fremd. Und den Waisen, die wie er selbst umherstreunten, klauten und handelten, misstraute er. Sie waren seine Konkurrenz. Zu den ganz Verlorenen, die sich einfach auf die Straße setzten, ihre hoffnungsvollen Pfoten ausstreckten, bis sie irgendwann starben, wahrte er Abstand.
    Herakles teilte alles um ihn herum in drei Kategorien ein: Man kann es verkaufen, man kann es essen, oder es ist nutzlos.
    Der Junge hockte neben mir, als ich meinen Koffer auspackte. Er ließ einen anerkennenden Pfiff los, als ich meine Kleidung, die keinerlei Löcher aufwies, herausholte.
    Der Sack mit den Wurzeln und die Geige brachten ihn zum Lachen. Aber es war Anton, die Porzellanpuppe, die ihn mitten ins Herz traf.
    »Was ist das?« Seine Moosteller weiteten sich, bis sein ganzes Gesicht nur noch aus Augen zu bestehen schien.
    »Eine Puppe.«
    »Und was macht man damit?« Wie in Trance streckte er seine Arme nach dem Porzellanmädchen aus.
    »Nichts. Sie ist einfach nur schön.«
    Er sprang hoch und stampfte mit seinen dünnen Beinchen auf den Boden. Ein Tanz, den ich noch öfter sehen sollte, immer dann, wenn dem Jungen etwas ganz unglaublich zu sein schien.
    In Herakles’ Welt gab es nicht viel, das einfach nur um seiner Schönheit willen existierte.
    Er setzte sich wieder und schüttelte wie ein kleines Pony den Kopf.
    »Ich schenke sie dir«, sagte ich und überreichte ihm Bernies Puppe. Herakles wiegte sie behutsam in den Armen. Die Ader an seinem verdreckten Hals begann zu pochen.
    »Und was willst du dafür haben?«, fragte er atemlos.
    »Nichts. Es ist ein Geschenk.«
    Er sah mich an, als ob ich geisteskrank wäre. Dann öffnete sich sein Mund. Lautlose Verzückung. Der Kopf flog in den Nacken, und das Kind lachte. Ich wünschte, es hätte ein Stückchen Film gegeben, auf dem man dieses fliegende Lachen für immer hätte bannen können.
    Der Professor war enttäuscht, dass ich nichts Essbares aus der arischen Freiheit mitgebracht hatte.
    »Ich werde etwas besorgen«, sagte ich. »Man wird hier ja wohl was kaufen können.«
    »Für sehr viel Geld.«
    »Ich habe Geld.«
    Ich besaß kein Vermögen, aber ein ansehnliches Bündel Scheine steckte in meiner Hosentasche. Anton Richter hatte mehr verdient, als er hätte ausgeben können. Außerdem hatte der Generalgouverneur höchstselbst seinem Rosenzüchter noch einen Zuschuss für die italienische

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