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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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Forschungsreise bewilligt.
    Herakles führte mich durch die Straßen des Ghettos, er kannte die Orte, an denen man frisches Brot und dicke Würste kaufen konnte.
    Anna, obwohl ich eine Armbinde trug wie alle anderen, fühlte ich mich doch nicht zugehörig. Eher wie ein Zuschauer oder ein Besucher, und so fühle ich mich auch jetzt noch. Vielleicht, weil ich freiwillig hierhergekommen bin, weil ich einen Grund habe, hier zu sein.
    Herakles hüpfte neben mir her, vertrieb ein paar Bettler, die nicht älter waren als er selbst, und lenkte meine Aufmerksamkeit auf alles, was ihm bemerkenswert erschien.
    »Die Frau da verkauft etwas gegen Flöhe. Aber es hilft nicht, der Professor hat es ausprobiert.«
    In einem Keller besorgten wir Brot, Wurst, ein paar Konserven und einen süßen Brei. Die Preise waren genauso unlogisch wie alles andere in dieser eingemauerten Stadt.
    Auf dem Rückweg sah ich meinen ersten Toten. Er lag zusammengekauert in der Gosse. Ein Mahnmal, namenlos.
    Der Tod hatte an diesem Ort seine grausame Würde eingebüßt. Sein Publikum verwehrte ihm allzu oft Tränen und Entsetzen. Allmählich begann der Mann mit der Sense nachlässig zu werden, er trank zu viel billigen Schnaps, sein schwarzer Umhang war zerfetzt und schmutzig. Wahllos verrichtete er sein Werk.
    Wir vier saßen an einem wackligen Tisch in Ruth Blemmers Zimmer, und ich teilte die Einkäufe mit meinen neuen Mitbewohnern.
    Menden und Herakles fingen bereits an zu essen, während Abrahams Máme noch ihr Gebet sprach. Ich senkte andächtig den Kopf, weil ich es mir mit ihr nicht sofort verscherzen wollte.
    »Professor, Sie sind ein gottloser Mensch, am liebsten würde ich Ihnen links und rechts eine knallen.«
    »Links und rechts, liebe Frau Blemmer? Das ist aber nicht besonders damenhaft und auch sicher nicht im Sinne Ihres Gottes«, sagte er und stopfte sich ein Stück fettige Wurst in den Mund. Herakles, auf dessen Schoß die Porzellanpuppe schlief, bemühte sich, sein Lachen zu unterdrücken, aber dann brach es doch aus ihm heraus, und sein Kopf flog in den Nacken.
    Das gab Máme den Rest. »Und so jemanden schickt Abraham, dieser Ójßworf, zu meinem Schutz?« Sie kippte über jedes einzelne Wort einen Eimer schäumende Wut. »Soll ich lachen oder weinen? He? He? He?«
    Und bei jedem »He?« haute sie auf meinen Unterarm.
    »Schlag ihn nicht«, sagte der Junge empört.
    Frau Nilpferd hielt einen Moment inne, und ihr Blick wanderte von mir zu Herakles und dann zu Menden. Ein Seufzen. Ein Schrei, der nur der Auftakt war zu einem neuen, endlosen Klagegebet.
    Der Professor und das Kind ignorierten die unheimlichen Laute und aßen weiter. Unsicher griff auch ich nach einem Stück Brot, aber jedes Mal, wenn ich zubiss, schwoll ihre Stimme an. Kauen und Schlucken wurde zu einer kräftezehrenden Angelegenheit. Und während ein Klumpen Brot langsam und schmerzhaft durch meine Speiseröhre rutschte, beendete sie schließlich ihre Litanei und fiel über den süßen Brei her.
    »Was sagt Ihr Gott, Frau Blemmer?«, fragte Menden mit einem Lächeln auf den Lippen.
    »Er prüft mich, das wissen Sie ganz genau, Professor. Und der hier«, sie zeigte mit ihrem Finger auf mich, »ist ein weiterer Stein auf meinem Weg.«
    »Er ist kein Stein«, sagte das Kind.
    »Ruhe, Herakles. Was weißt du schon?«
    »Ich weiß, dass er kein Stein ist.«
    An diesem Abend pflanzte ich meine kümmerlichen Rosen in einen Behälter, der früher wohl als Kochtopf gedient hatte. Herakles beobachtete mich, während ich das Wurzelgeflecht in die Erde einbettete.
    »Und was ist das?«
    »Noch nichts. Aber wenn wir Glück haben, werden hier im Sommer Rosen blühen.«
    »Kenne ich nicht«, sagte er und zuckte mit den Schultern.
    »Blumen, du kennst doch Blumen. Das hier ist eine Blume.«
    »Du bist verrückt«, quietschte er, »Blumen sind aus Papier.«
    »Nein.«
    »O doch.« Er sprang auf, lief weg und kam mit einem Buch, das dem Professor gehörte, zurück. Ein Gedichtband, dessen Umschlag eine Lilie zierte.
    »Da«, sagte er, »Papier.«
    »Aber das ist nur ein Bild.«
    Er lachte und hielt sich den Bauch. »Du bist verrückt. Das ist eine Blume. Und das, was du hast, ist nur Dreck mit Gras.«
    Es war kalt in dieser ersten Nacht im Ghetto. Die Türen, die mein Zimmer von Mendens und von dem der Nilpferddame trennten, hatten diesen Namen nicht verdient. Dünne Bretter, die jedes Geräusch passieren ließen. Auch die Wände taugten nichts, man blieb dem Wind fast schutzlos

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