Adams Pech, die Welt zu retten
das Feuer bemerkte und so ein Zusammenstoß vermieden würde. Als alle Reisenden den Waggon verlassen hatten, holte der Schaffner den Samowar und verteilte Tee. Kenzo und Sorjonen maßen für jeden einen kleinen Becher Wodka ab. Die Situation begann sich zu entspannen.
Aus Richtung Tobolsk donnerte ein Schnellzug heran. Er reagierte in keiner Weise auf die Handzeichen, pfiff nicht einmal, als er an dem einsamen Salonwagen vor-beisauste. Der Luftstrom fuhr in die Flammen des Feu-ers, das neben dem Gleis qualmte, und entfachte sie zu einer wahren Höllenglut.
Der Waggon war für Unglücksfälle mit Rettungsgerät ausgestattet, es handelte sich um eine Sperrholzkiste, die eine Axt, eine Säge und einen chemischen Feuerlö-scher enthielt. Die Axt kam jetzt zum Einsatz: Sorjonen wurde beauftragt, eine schlanke Lärche zu fällen und zu entrinden. Kenzo brachte den Stamm im Laufschritt zu Huja und Heikura, die in der Kurve als Semaphore postiert waren und den Stamm als verlängerten Arm benutzen sollten. Nun hatten alle das Gefühl, als wäre die größte Unfallgefahr gebannt.
Die Diplomatengattinnen und ihr Anhang waren zusammen vierunddreißig Personen. Es waren fast alles Frauen, außer dem hinkenden Italiener und einem amerikanischen Psychiater, der auf die Behandlung von Alkoholkrankheiten spezialisiert war. Er hatte in Mos-kau eine Entzugsklinik eröffnet, die so gefragt war, dass die Voranmeldungen bis ins dritte Jahrtausend reichten. Der Psychiater nahm aus eigenem Interesse an der Reise teil, er bereitete seine Dissertation über die Trinkge-wohnheiten von Frauen aus den höheren Gesellschafts-schichten vor. Forschungsmaterial stand reichlich zur Verfügung. Der Arzt genoss die Situation: Jetzt hatte er Gelegenheit, wissenschaftlich zu untersuchen, wie sich Frauen der Oberschicht in einer Krisensituation verhielten. Was macht eine feine Dame, wenn sie fern aller Zivilisation der wilden Natur Sibiriens ausgeliefert ist, ohne jede Möglichkeit, sich beim Gatten über ihr hartes Schicksal zu beklagen?
Inmitten des ganzen Durcheinanders begann ein belgisches Dienstmädchen laut zu stöhnen: Sie war hoch-schwanger, und jetzt setzte, offenbar durch die Aufre-gung beschleunigt, die Geburt ein.
Seppo Sorjonen stellte sich dem amerikanischen Psychiater vor und erzählte ihm, dass er seinerzeit eine beachtliche Kompetenz als praktischer Arzt erworben habe – er habe sich als Chauffeur und Leibarzt eines an Demenz erkrankten Mannes namens Rytkönen betätigt. Und jetzt stehe er im Grunde genommen kurz vor sei-nem Examen als Mediziner, sei dabei, sein Studium abzuschließen. Die beiden Männer machten sich daran, der gebärenden Belgierin zu helfen. Sie trugen die Frau auf eine trockene Anhöhe und bereiteten ihr aus Reisern ein duftendes Bett. Die Frau hatte heftige Wehen, es war kaum mit anzuhören, wie sie sich da bei einsetzender Geburt quälte. Aus dem Samowar bekamen die Ärzte heißes Wasser, ihre Hände desinfizierten sie mit Wodka.
Der Salonwagen war jetzt leer, alle waren mit irgend-etwas beschäftigt: Einige unterhielten das Feuer, andere besichtigten die Umgebung, ein Teil der Diplomatengattinnen vollzog noch die Morgenwäsche am nahen Sumpfsee, und viele verfolgten neugierig das ewige Wunder der Geburt. So konnte der einbeinige italienische Diener, der tatsächlich unser alter Bekannter, der Profikiller Luigi Rapaleore, war, unbemerkt in den Wag-gon einsteigen, um seine Missetaten zu vollführen.
Luigi holte aus seinem Abteil eine kleine Tasche, die mit allerlei Requisiten eines Berufskillers bestückt war: Plastiksprengstoff, Zündkapseln, einem Timer, einer Minipistole und so weiter. Er schlich in das Abteil von Aatami und der Dolmetscherin, und zwar so lautlos, dass nicht einmal die Prothese Geräusche verursachte.
Luigi Rapaleore hatte sich nach dem Feuergefecht in den Wäldern von Maununneva eine neue Prothese besorgt; er hatte sich über Aatami Rymättyläs Aktivitäten informiert, und als er von der geplanten Reise nach Sibirien erfahren hatte, hatte er sich rechtzeitig vorher nach Moskau aufgemacht und zur dortigen Mafia Kontakt aufgenommen. Mithilfe dieser Kontakte war es ihm gelungen, als Diener bei der Gattin des vatikanischen Militärattachés unterzuschlüpfen, und auf diese Weise war er in ebenjenen Salonwagen gelangt, der jetzt ein-sam auf den Gleisen stand. Letzte Nacht hatte Luigi den Waggon eigenhändig abgekoppelt, es hatte Mut erfor-dert, sich zwischen die Schnellzugwagen zu hangeln
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