Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
sie. Lange hatte sie ihre ehemalige Zofe nicht mehr in dieser Verfassung gesehen. Beim ersten Mal – vor vielen Jahren draußen im Wald – lag der geschundene Leib ihrer Mutter in ihrem Schoß. Die Bilder schossen wie fliehendes Wild an Adelheids innerem Auge vorbei. Der unvergessene Morgen, als Dietmar vom Straußberg tödlich verunglückte! Der Moment, als Wetzel von Mühlhusen von seinem steigenden Pferd in die Tiefe stürzte! Wie damals hatte die Kräuterfrau die Augen fest geschlossen und wiegte den Oberkörper rhythmisch vor und zurück. Ihre Hände lagen flach gegeneinander, sodass ein flüchtiger Beobachter den Eindruck gewann, sie bete besonders inbrünstig für das Heil der Kinder. Doch Adelheid wusste, dass Magdalena ihre eigenen Methoden hatte, Dinge zu bewirken.
Johannes, der neben seiner Frau saß, bemerkte Adelheids Blicke und nickte ihr beruhigend zu. Schnell wandte sie sich wieder zum Altar, um nicht die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf die Edelfrau vom Straußberg zu lenken. Folkmar an ihrer Seite blickte sie fragend an und griff nach ihrer Hand, um sie zärtlich zu drücken. Adelheid fühlte, wie Tränen ihr die Luft abschnürten und der gequälte Gesichtsausdruck des Gottessohnes am Kreuz begann zu verschwimmen. Dankbar lächelnd erwiderte sie den Druck seiner warmen Hand.
Auf der Vorburg hatten sich trotz der klirrenden Kälte viele Bauern aus der Gegend eingefunden, um dem Brautpaar Glück zu wünschen und ihren Anteil am Hochzeitsschmaus einzufordern. Gemeinsam mit dem Gesinde aßen, tranken und tanzten auch sie bis zum Einbruch der Dämmerung.
Spät in der Nacht fand sich Folkmar nach reichlich gutem Essen und etlichen Krügen süffigen Moselweins im Bett neben Adelheid ihren vorwurfsvollen Blicken ausgesetzt. Die steile Falte auf ihrer Stirn bedeutete nichts Gutes.
„Was gibt es Neues, von dem ich noch nicht weiß?“, fragte sie mit einem Unterton, der keine Ausflüchte zulassen würde.
Er seufzte. „Hat das nicht Zeit, ich bin schrecklich müde! Der rote Wein, die Hechtsuppe und der Hirschbraten streiten sich in meinen Innereien um die besten Plätze. Morgen früh …“
„Nein, jetzt! Ich werde sonst nicht schlafen können!“
Er richtete sich auf und stützte seinen weinschweren Kopf auf die Hand. „Woher weißt du überhaupt, dass etwas passiert ist?“
„Nenn es das zweite Gesicht oder weibliches Gespür. Magdalena hat es auch bemerkt. Ihr Männer wart so anders, du und Ludwig und Johannes wohl ebenfalls, ständig mit den Gedanken abwesend, habt geheimnisvolle Blicke ausgetauscht. Und all das begann, nachdem Lothar eingetroffen war …“
„Versuch einer, einem Weibe etwas vorzumachen!“, murmelte Folkmar und begann gähnend zu berichten, was er vom Herzog erfahren hatte. Trotz des spärlichen Kerzenscheins konnte er sehen, dass Adelheid blass wurde.
„Der Herrgott steh uns bei! Eine offene Schlacht gegen den König! Wir haben keine Chancen, ihn zu schlagen!“
„Sei nicht so pessimistisch!“, murmelte er mühsam, der Schlaf forderte sein Recht. „Wir hatten viel Zeit, uns vorzubereiten.“
„Aber haben wir auch genug Kämpfer? Genug Waffen? Und Pferde?“
Sie bekam keine Antwort. Stattdessen begann Folkmar leise zu schnarchen. Sie beugte sich über ihn und hielt ihm die Nase zu. „He, Ritter Schnarchnase! Haben wir genug Pferde?“
Er murmelte irgendetwas, das wie ‚Teufel holen’ klang und schüttelte den Kopf, um ihre Hand abzuschütteln. Als das nicht gelang, öffnete er den Mund und schnarchte durch diese Körperöffnung weiter. Adelheid gab seufzend auf, blies die Kerze aus und kroch unter die Decke. Schlafen würde sie jetzt erst recht nicht können.
Am achten Tag des Februars öffneten sich erneut die Tore Lares, um eine große Gruppe bewaffneter Ritter auszuspeien. Dieses Mal brauchten sie das Tageslicht nicht zu fürchten. In einer offen ausgerufenen Schlacht gab es keine Möglichkeit mehr, seine Parteilichkeit zu verbergen. Mit besorgtem Herzen und verschleiertem Blick stand Adelheid am Tor und sah ihren Männern nach, die mit schwerer Ausrüstung auf den Packpferden in den kalten Morgen hinaus ritten. Wen von ihnen würde sie wiedersehen? Wer wäre verletzt oder verstümmelt, wenn sie zurückkehrten?
Eine leichte Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie wusste, ohne sich umzudrehen, dass Magdalena hinter ihr stand. Sie wollte die nächsten Tage hier auf Lare bleiben, die beiden Frauen konnten sich so gegenseitig Mut zusprechen. Beide
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