Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
steile Wendeltreppe, die vom Saal direkt in die Kemenaten führte. Hinter sich hörte sie die derben Scherze und das Gelächter der Männer, die sich jetzt anscheinend auf ihre Kosten amüsierten. Der Gang im Obergeschoss war nur mit einer blakenden Fackel ausgeleuchtet, doch Adelheid hätte den Weg auch im Dunkeln gefunden. Der Wind rüttelte noch immer an den Fensterläden und verschluckte alle anderen Geräusche. Als sie zu Magdalena ins Bett kroch, fiel ihr auf, dass das Mädchen eiskalt war. Sowohl ihre Füße als auch ihre Hände fühlten sich an, als hätte sie barfuß draußen … – „Beim Allmächtigen – Magdalena!“, entfuhr es ihr leise. „Du bist mir doch gefolgt! Hast du etwa alles gehört?“
Das Mädchen nickte fast unmerklich. Adelheid kroch dichter an sie heran, wie um sie wärmen, aber auch um ihr Trost zu spenden. Doch konnte sie des Vaters Worte damit ungesagt machen? Die verdammte Leiche ist verbrannt – wie es sich für eine Hexe gehört!
Als der Morgen im Osten heraufdämmerte, hatte Adelheid einen schweren Entschluss gefasst. Sie würde sich dem Willen des Vaters beugen und die Frau des Ritters werden, auch wenn sich alles in ihr gegen diese Vorstellung aufbäumte. Doch sie hatte keine wirkliche Alternative. Jetzt, da sie für Magdalena verantwortlich war und ihr versprochen hatte, den Tod ihrer Mutter zu sühnen, konnte sie nicht mehr an Flucht denken. Allein wäre es schon schwierig genug gewesen, aber mit Magdalena gemeinsam konnte sie es niemals schaffen. Wenn sie erst einmal die Herrin der Burg zu Straußberg war, hatte sie alle Möglichkeiten, dem Verbrechen nachzugehen. An die Nachteile dieser Entscheidung versuchte sie nicht zu denken. Wenn sie das feiste rotglänzende Gesicht des Ritters vor sich sah und sein meckerndes Lachen hörte, war es unvorstellbar für sie, auch nur einen Tag in seiner Nähe verbringen zu müssen, geschweige denn eine Nacht in seinem Bett.
Nachdem sie das Frühstück im Saal eingenommen hatten, wurde Adelheid zum Grafen befohlen. Wie immer, wenn er sie allein sprechen wollte, erwartete er sie in seinem Schlafgemach. Sie klopfte zaghaft und trat ein, ohne auf seine Antwort zu warten. Ihr Vater stand in der Fensternische, einen Fuß auf die in den Mauersims gehauene steinerne Bank gestellt und den Ellenbogen auf das Knie gestützt. Die mit Pergament bespannten Rahmen, die im Winter die Räume vor Zugluft schützten, waren bereits aus den Fenstern genommen worden und so konnte er den Burghof bis zum inneren Tor übersehen. Sein Blick war jedoch in die Ferne gerichtet, auf die Berge des Harzes, die sich am Horizont gerade aus dem Morgendunst hervor schoben. Adelheid musste sich mehrmals räuspern, bevor Graf Beringer aus seinen Gedanken auffuhr und sich umwandte.
„Komm zu mir, Tochter!“, sagte er mild und Adelheid bemerkte zum ersten Mal, dass ihr Vater müde und alt aussah. Die grauen Strähnen im Haar waren dicker geworden und schimmerten stellenweise schon silberweiß. Um die steingrauen Augen und um die Mundwinkel hatten sich scharfe Falten in die wettergegerbte Haut eingegraben. Er zog sie an sich vorbei in die Fensternische, so dass er hinter ihr stand, legte ihr eine Hand auf die Schulter und wies aus dem Fenster, wobei er mit dem ausgestreckten Arm einen weiten Bogen beschrieb.
„Über dieses Land von der Wöbelsburg bis zum Eichsfeld, vom Helbetal bis zu den Harzbergen wird einmal dein Bruder herrschen und es wird seine Pflicht sein, allen seinen Untergebenen den Burgfrieden zu wahren. Dafür bringen sie ihm den Zehnten, von dem er wiederum mit seiner Familie und seinem Gesinde lebt. So war es und so soll es immer sein. Du als seine Schwester kannst ihn dabei unterstützen.“ Er blickte sie ernst an.
„Wenn zwei Herren, die benachbart leben, auch in schlechten Zeiten zusammenhalten, sind sie stark und können ihren Feinden widerstehen. Du bist ein kluges Mädchen, du weißt, dass unsere Burgfeste ihre schwächste Seite im Osten hat. Wenn du auf dem Straußberg lebst, werden wir aus dem Osten keinen Verrat zu befürchten haben.“
Adelheid, die ihren Entschluss längst gefasst hatte, wollte es ihm nicht zu leicht machen. Außerdem erregte der besorgte Unterton in des Vaters Stimme ihre Neugier. „Erwartet Ihr Feinde aus dem Osten, Vater? Was befürchtet Ihr?“
„Es sind die Feinde im eigenen Land, Adelheid, die mir Sorgen bereiten. König Heinrich mag ein kluger König sein, aber er ist schwach, viel zu schwach um das Land unter
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