Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
beschreiben, was sie gesehen hatte. Sie würde dafür keine Worte finden, selbst wenn es welche gab … Sie drehte sich zum Grafen um und sah seine fragenden Augen. Sein Blick war sorgenvoll und sie wusste im selben Moment, dass sie ihn nicht mit ihrem Problem behelligen würde. War sie erst Burgherrin, konnte sie die Angelegenheit selbst klären. Tief im Unterbewusstsein spürte sie, dass es nicht nur die Rücksicht auf ihren Vater war, die sie schweigen ließ. Sie war einfach zu feige, laut heraus zu sagen, was sie vor der Hütte im Wald gesehen hatte. Sie würde es nie über ihre Lippen bringen, sie würde die Bilder tief in ihrem Inneren vergraben.
„Was liegt dir auf der Seele, Adelheid? Sprich weiter!“, drängte der Graf und sah sie eindringlich an.
„Und außerdem möchte ich ein neues Kleid zur Hochzeit!“ Ihre Stimme klang unecht, aber etwas Glaubwürdigeres fiel ihr im Moment nicht ein. Hätte der Graf seine Tochter gut genug gekannt, dann wäre er stutzig geworden, denn sie legte sonst kaum Wert auf solche Dinge. Doch er lächelte erleichtert und nickte.
„Du sollst alles haben, sowohl Magdalena als auch das Kleid. Alwina ist langsam reif fürs Altenteil, sie wäre sowieso nicht glücklich gewesen, wenn sie mit nach Straußberg hätte gehen müssen. Soll die Kleine ihre Stelle einnehmen. Die Sache mit dem Kleid ist kein Problem, ich lasse Stoffe kommen, sogar Seide, wenn du willst. Dann sollen sich die Frauen gleich an die Arbeit machen. Zum Osterfest wird die Hochzeit sein.“
Adelheid erschrak. So bald! Das waren nicht einmal mehr zwei Wochen. Aber sie hatte keine Wahl. Ihr Vater versank wieder in Gedanken, für ihn war das Gespräch beendet. Er hörte nicht einmal mehr, wie sie den Raum verließ.
Ostern fiel in diesem Jahr recht spät, doch obwohl der April fast zur Neige ging, war das Wetter kalt und regnerisch. Der Wind peitschte die Äste der Trauerweide an der Zugbrücke, dass einem die jungen Knospen leid tun konnten. Adelheid stand am rückwärtigen Fenster der Kemenate und fand, dass dieses Wetter wunderbar zu ihrer heutigen Stimmung passte. Es wäre Hohn gewesen, wenn am heutigen Tag die Sonne geschienen hätte. Ihr Blick glitt über den Burggraben, der viele Fuß tief in den blättrigen weißen Felsen gehauen war und sich wie die Spur eines riesigen Hakenpfluges rund um die Burg zog. Das modrige Wasser auf dem Grund sammelte sich immer nach der Schneeschmelze, versickerte jedoch bis zum Sommer. Es war dunkelgrün und sie konnte selbst hier oben noch seinen fauligen Gestank riechen. Die Abtrittserker befanden sich hier über dem Graben auf der hofabgewandten Seite des Palas. Sie trat einen Schritt vor in die Mauernische. Der Wind fand in den offenen Fenstern keinen Widerstand mehr, seit die Winterbespannung entfernt worden war. Große kalte Regentropfen klatschten ihr ins Gesicht und auf die Schultern, die ihr Hochzeitsgewand großzügig frei ließ. Einen Moment starrte sie in die Tiefe und leichter Schwindel erfasste sie. Hinter ihr öffnete sich die Tür und der Wind nutzte seine Chance, einen langen feuchtkalten Atemzug in den Raum zu blasen. Instinktiv fasste Adelheid nach ihrer Frisur, doch das lange Haar, das ihr sonst ins Gesicht geweht wäre, steckte ab heute sorgsam geflochten unter einem weißen Gebände, wie sich das für eine sittsame Ehefrau gehörte. Ärgerlich zog sie die Hand wieder zurück, an diese furchtbare Haube auf ihrem Kopf würde sie sich nie gewöhnen. Hinter sich hörte sie das Zuschlagen der Tür und leise Schritte auf den Holzdielen. Erleichtert atmete sie auf und wandte sich um. Magdalena war die einzige, die sie jetzt in ihrer Nähe ertragen konnte. Sie ging ihr entgegen und breitete die Arme aus: „Der Himmel weint für mich! Ich wollte, dieser Tag wäre endlich vorüber!“
Ihre Zofe trug ein veilchenfarbenes Kleid und duftete nach Seifenkraut. In ihr dichtes schwarzes Kraushaar hatte sie farbige Bänder gebunden, worum Adelheid sie jetzt ein wenig beneidete.
„Du Glückliche musst nicht dieses steife, kratzende Ding auf dem Kopf tragen. Deine Frisur sieht so frisch aus!“
Magdalena, die sich zunächst vertrauensvoll an ihre Schulter gelehnt hatte, blickte jetzt auf und ihre unergründlichen Augen schienen zu sagen: „Ihr seht wunderschön aus, Adelheid!“
Wie zur Bestätigung trat sie einen Schritt zurück und begann, an dem prachtvollen Kleid herum zu zupfen, das den Grafen ein kleines Vermögen gekostet haben musste. Adelheid hatte
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