Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
in der Kammer so erschrocken ausgesehen? Aus welchem Grunde wollte sie nicht mehr, dass die Mörder ihrer Mutter bestraft würden?
In diesem Moment erreichte die Gruppe die Tür der kleinen Kapelle und ihr Vater trat ihr entgegen, um sie zum Altar zu führen, wo zwei mit frischen Anemonen und Veilchen geschmückte Stühle für das Brautpaar bereit standen. Dietmar vom Straußberg erhob sich, als er ihrer ansichtig wurde und reichte ihr die Hand. Er sah sehr feierlich aus, statt des abgewetzten Wamses trug er einen modisch in zwei Farben genähten seidenen Rock. Die linke Hälfte schimmerte dunkelgrün, die rechte leuchtete kräftig gelb. Der Saum des Rockes war in Streifen geschnitten und jeweils in der anderen Farbe unterlegt. Seine Beinkleider saßen eng an seinen feisten Schenkeln und glänzten ebenfalls zweifarbig.
„Er sieht aus wie ein Buchfink in der Balz“, dachte Adelheid und musste unwillkürlich lächeln. Schemenhaft sah sie viele Gesichter, die sie anstarrten, aber sie schlug die Augen nieder und ließ sich zu ihrem Platz führen. Wohltuende Stille legte sich über die Gesellschaft, als Pater Caesarius den Altarraum betrat und die Messe zelebrierte.
Die Zeremonie, die der Geistliche vorm Altar abhielt, rauschte an Adelheid vorbei wie eine gewöhnliche Prim. Wie immer, wenn seine Predigt sie langweilte, betrachtete sie mit kritischem Blick die hölzernen Wände. Die Kapelle war in äußerst kurzer Zeit errichtet worden und die mangelnde Sorgfalt spiegelte sich in den grob gehobelten Bohlen an den Seitenwänden deutlich wieder. Der Fußboden bestand lediglich aus gestampfter Erde und war dick mit Binsen bestreut. Mehr als einmal hatte sie den Pater wegen des undichten Schindeldaches beim Grafen vorsprechen sehen. Ihr Vater hatte ihm jedes Mal zugesichert, die Kapelle gründlich umzubauen. Doch sie glaubte ihn besser zu kennen: Er würde immer mehr Wert auf die Instandhaltung der Mauern, der Tore und des Burggrabens legen als auf die Verschönerung der kleinen Kirche. Ihr Vater war kein besonders religiöser Mensch. Er besuchte die Messen so selten, wie es Anstand und Sitte gerade noch zuließen. Darum war nie ein böses Wort gefallen, wenn Alwina sich bei ihm darüber beschwerte, dass seine Tochter nicht fromm genug sei. Adelheid hatte als kleines Mädchen beim Tischgebet lieber Zahlwörter geübt, indem sie die Finger ihrer gefalteten Hände vorwärts und rückwärts zählte, als die für sie vollkommen unverständlichen Worte des Paters nachzuplappern.
Sie schrak auf, denn der Geistliche hatte seine Litanei unterbrochen und sah sie fragend an. Offenbar hatte er sie etwas gefragt und bleierne Stille breitete sich in der kleinen Kapelle aus. Adelheid drehte sich um und erhaschte einen eindringlichen Blick aus den grauen Augen, die ihr bereits öfter in letzter Zeit aufgefallen waren. Inzwischen wusste sie, wem sie gehörten: Johannes vom Straußberg war der Neffe ihres zukünftigen Ehemannes, gleichzeitig einer seiner Knappen. Er nickte ihr aufmunternd zu und seine Lippen formten ein stummes Ja. Sie fühlte, wie ihr die Röte heiß ins Gesicht stieg und wandte sich hastig wieder dem Altar zu. Der Ritter hatte die Stirn gerunzelt und grunzte ungehalten. Adelheid stammelte etwas Unverständliches, im selben Atemzug wiederholte der Pater seine Frage. Hinter ihrem Rücken entstand Gemurmel, das an den kalten Wänden einen unheimlichen Nachhall fand.
Schließlich holte sie tief Luft und platzte mitten in die Worte des Geistlichen hinein: „Ja, so mir Gott helfe!“
Die Unruhe im Kirchenstuhl wurde lauter und der Pater schwieg einen Moment irritiert, dann hatte er sich gefangen und richtete seine lateinischen Worte mit erhobener Stimme an ihren Bräutigam. Johannes trat nach vorn und reichte seinem Onkel eine offene Schatulle, aus der Dietmar einen silbernen Ring mit einem hellblauen, oval geschliffenen Stein nahm und ihr an den Finger steckte. Er war schwer und sehr eng und sie hatte bald das Gefühl, der Ringfinger schwelle ihr an. Der Pater sprach mit hoch erhobenen Armen den Segen und sie wurde als Herrin Adelheid vom Straußberg aus der Kapelle geführt, nun am Arm von ihrem Ehemann. Alles kam ihr vor wie ein böser Traum, aber sie wusste, dass es kein Erwachen geben würde.
Auf dem Burghof hatten Dienerinnen inzwischen Blumen gestreut. Es regnete nicht mehr, doch noch immer hingen schwere graue Wolken über dem Bergfried und der kalte Wind strich ihr über die glühenden Wangen.
Die
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