Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
Erinnerung haben!“
Ihre warme Hand entzog sich der seinen und er glaubte schon, zu weit gegangen zu sein mit seinem Ansinnen. Doch sie griff zur Schleife unter ihrem Kinn und zog das feste Band mit einem Ruck auf. Er schloss für einen Moment die Augen, als wolle er die Spannung steigern.
Ihr Haar war eine kleine Nuance dunkler als seines und etwa gleich lang. Seltsamerweise trug sie nicht diesen langen kunstvoll geflochtenen Zopf, der bei den meisten Frauen oft noch um den Kopf geschlungen war. Verlegen strich sie die zerdrückten Locken hinter die Ohren, von wo sie widerspenstig sofort wieder hervor sprangen. Die sanfte Röte in ihrem Gesicht ließ sie noch zerbrechlicher wirken.
Vier hungrige blaue Augen musterten sich unverwandt und konnten nicht mehr voneinander lassen.
„Du bist wunderschön, Adelheid von Lare! Ich schwöre, dass ich …“
„Schscht! Bitte keine Schwüre! Damit legst du dich unbarmherzig fest.“ Sie drückte ihm den Finger auf den Mund und er nutzte die Gelegenheit, ihre Hand zärtlich zu küssen.
„Gut. Ich verspreche dir aber trotzdem, ich werde Reiten üben, und wenn ich ein mutiges Pferd gefunden habe, komme ich zurück.“ Seine Augen waren voller Ernst und seine Stimme kratzte schon wieder.
Adelheid erschrak. Wie viel Leid und Unglück würde ihr Schwur noch bringen? „Nein, ich verbiete es dir! Alle Menschen, die ich liebte, sind gestorben. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du auf die Mauer gehen würdest, ob mit oder ohne Pferd! Ich würde es nie zulassen, hörst du? Niemals, so wahr ich Adelheid von Lare bin!“
„Heißt das, dass du … dass du mich liebst?“ Atemlos stellte er diese Frage und sah das Aufleuchten in ihren Augen. Ohne eine Antwort abzuwarten, richtete er sich auf und saß ihr nun direkt gegenüber. Noch nie waren sie sich so nah gewesen. Sanft zog er sie an sich und sie konnten das Klopfen ihrer Herzen gegenseitig spüren. Für einen kurzen, traumhaft schönen Moment ließ Adelheid sich an seine Brust sinken und fühlte eine Geborgenheit wie seit Jahren nicht mehr. Sie spürte die erregende Wärme seines Körpers und roch seinen männlichen Duft. Tränen des Glücks und der Verzweiflung schossen ihr in die Augen. Dann riss sie sich los, sprang auf und sagte mit mühsam erkämpfter Beherrschung: „Ja! Folkmar von Walkenried, ich liebe dich! Aber alles was ich liebe, ist zum Sterben verurteilt, und ich bin an den Eid gebunden, den ich am Denkmal meines Vaters leistete. Deshalb musst du mich vergessen! Je eher du abreist, desto besser. Es wird nicht leichter für uns, wenn du bleibst.“
Mit tränenverschleiertem Blick rannte sie hinaus. In der Kemenate folgten ihr die verwunderten Blicke der Frauen. Folkmar saß noch immer auf seinem Lager und starrte unglücklich auf den Vorhang, der sich leicht bewegte. Ein Hauch von Lavendel war alles, was von ihr blieb.
In der darauf folgenden Woche wurde Folkmar mit einem Planwagen des Gutes Walkenried abgeholt. Er hatte Adelheid nicht wiedergesehen. Magdalena überwachte den Abtransport, sorgte dafür, dass der Patient auf weichen Decken gelagert wurde und sein verletztes Bein auf schlechten Wegen nicht allzu sehr strapaziert werden würde. Noch immer konnte Folkmar nur an Krücken laufen, obwohl er in den letzten Tagen verbissen geübt hatte. Er war so versessen darauf, das Bein wieder benutzen zu können, dass die Zofe ihm die stundenlangen Gehversuche schließlich untersagen musste. Immerhin sollte er seinen linken Arm ebenfalls noch schonen.
Bevor der Wagen über die Zugbrücke ratterte, schickte Folkmar einen letzten Blick zu den pergamentbespannten Fenstern hinauf und raunte Magdalena zu: „Sagt ihr, ich finde einen Weg!“
Die Zofe lächelte und antwortete leise: „Ich weiß, Herr!“
Dann verschwand das Gefährt laut rumpelnd im Frühdunst. Oben auf dem Bergfried stand Adelheid und sah ihm nach, bis der graue Wald aus kahlen Buchen ihn verschluckt hatte. Der eisige Wind des abklingenden Winters trieb ihr die Tränen über die Wangen.
A ls der Frühling mit mildem Wetter Einzug hielt, schöpften die Menschen in den Dörfern neue Hoffnung. Die Bauern bestellten mit frischem Elan ihre Felder und das Vieh auf den satt grünenden Weiden setzte wieder etwas Fett an.
Adelheid ließ vor dem heiligen Osterfest aus den letzten Getreidevorräten der Burgscheuern Weizen und Roggen verteilen, damit die Bauersfrauen wenigstens an Ostern Brot für ihre Familien backen konnten. Sie hatte in den letzten Wochen
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