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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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der an meinem Bett gestanden hat, worin ich in einem Zustand katastrophalen Ungewaschenseins liege, wendet sich um, geht überraschend schnell zur Tür, öffnet sie und schließt sie mit einem Knall, wie ein Kind in einem Wutanfall.
    Das amüsiert mich für einen kurzen Moment. Wills Halsstarrigkeit hat schon häufig für Heiterkeit gesorgt. Und nun, da er so alt ist, begreife ich sie als Beweis für seinen hartnäckigen Wunsch, unbedingt durchzuhalten. Was mich wiederum tröstet, denn wenn Will sterben würde, dann wäre meine Einsamkeit wahrhaftig vollkommen. Solange er mit mir streitet, hegt er vielleicht die Absicht, mich zu überleben.
    Doch dann beginne ich zu ahnen, dass ich, sofern ich michnicht selbst in eine Kutsche hieve, keinesfalls an mein Opium gelange, denn mittlerweile kann ich keinem Dienstboten mehr trauen außer Will. Und kaum habe ich das begriffen, überfällt mich eine entsetzliche Gier danach, und alles, woran mein Kopf noch denken kann, ist, wie ich zu meinem Trost komme.
    Ich drehe mich rastlos in meinem zerwühlten Bett. Meine Glieder schmerzen. Mein Mund ist trocken. Ich fühle mich wie das elendeste Exemplar der menschlichen Rasse. Ich höre mich laut nach Louise de Flamanville rufen, sie möge mich retten.
    Tage und Nächte vergehen.
    Meine einzige Zuflucht sind, in Ermangelung von Opium, meine Träume, in denen ich manchmal mit Rosie Pierpoint zusammen bin, damals, vor langer Zeit, als sie noch jung war und wir beide halb im Delirium auf ihren Wäschebergen lagen, und dann erwache ich in Verzückung, da ich mich in ihr glaube. Und ihre bezaubernde Süße klingt noch lange in meiner Seele und meinem Körper nach und besänftigt beide fast zu einer Art Frieden.
    Der einzige Brief, den ich erhalte, ist von Margaret. Sie schreibt:
    Der König verbringt viel Zeit mit uns, die wir der Herzogin von Portsmouth aufwarten, und das ist höchst schmeichelhaft und angenehm. Er erzählt mir, dass er viel lieber hier in unseren Gemächern weilt als bei seiner Königin oder seinem Kronrat oder sonst irgendwo in Whitehall oder in seinem Königreich, außer auf Bidnold.
    Sie fährt fort und berichtet, wie sie zur Lieblings-»Zofe« der Herzogin wurde, die sie mit neuen Kleidern und mit Schmuck verwöhne, »und wenn der König in der Nacht nicht zu ihr kommt, weckt sie mich manchmal und nimmt mich in ihr Bett und legt ihre Arme um mich, und wie die Kinder schlafen wir zusammen ein«.
    Auch wenn dieses Bild mich beunruhigt, zwinge ich mich, darin nur die Zuneigung der Herzogin zu sehen, und darüber hinaus sage ich mir, dass der König vielleicht davor zurückscheuen würde, seine Mätresse mit ihrer Lieblingskammerzofe zu betrügen.
    Doch dann folgt ein neuer Gedanke. Ich stelle mir vor, wie der König nachts voller Wollust erwacht, vielleicht zur Herzogin geht und, wenn er Margaret dort bei ihr im Bett liegen sieht, plötzlich von der Idee fasziniert ist, dass sie sich doch alle drei miteinander vergnügen könnten. Und mir wird ganz heiß, ich schwitze bei dem Gedanken, dass meine Tochter so verdorben werden könnte, und ich greife sofort zur Feder und schreibe:
    Bleib auf der Hut vor absonderlichen Schlafzimmer-Gepflogenheiten, denn sie könnten Dich entwürdigen und am Ende voller Scham zurücklassen. Halte Dich rein und unbefleckt, Margaret, und verführe die Welt nur, indem Du Deine Begabungen für Musik und Tanzen und Dein Verständnis für die lateinische Sprache zeigst.
    Als ich aber lese, was ich geschrieben habe, merke ich, dass der Ton prätentiös und von abscheulicher Dünkelhaftigkeit ist, und ich zerreiße alles. Stattdessen zwinge ich mich, Folgendes zu schreiben:
    Wie froh bin ich, liebe Margaret, dass Du von Deiner Herrin so begünstigt wirst. Sie hat natürlich Recht, wenn sie eine Person von so reizendem Wesen besonders auszeichnet, und alles, was Dir geschenkt wird, hast Du Dir selbst erworben – durch Deine eigene Liebenswürdigkeit und Herzensgüte. Und wie gern möchte ich Deine neuen Kleider und Schmuckstücke sehen, die sicherlich alles über treffen, was ich mir leisten könnte! Ich werde noch vor September nach London kommen. Unterdessen verbleibe ich in tiefster Zuneigung
    Dein Dich liebender Papa
    R. Merivel
    Ich sorge für die Beförderung meines Briefs, und kurz danach teilt Will mir mit, dass Sir James und Lady Prideaux mir einen Besuch abstatten und mich in der Bibliothek erwarten.
    »Oh«, sage ich, »wie freundlich von ihnen. Zweifellos haben sie erfahren, dass ich

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