Adieu, Sir Merivel
könnten ein Picknick machen und das Spektakel gemeinsam genießen.«
Ich betrachte meine Freunde, die da so nett in ihren Sesseln sitzen und ihre Gläser mit dem Kräuterlikör so adrett halten, und zum ersten Mal, seit ich sie kenne, stelle ich fest, dass ich sie eigentlich doch nicht so richtig mag . Und obgleich ich darüber verwirrt bin und hoffe, dass es nur ein vorübergehendes Gefühl ist, stachelt es mich plötzlich zu einem trotzigen Optimismus an und ermutigt mich zu der Antwort:»Das ist ein äußerst liebenswürdiges Angebot. Aber ich habe schon Pläne gemacht. Noch vor Monatsende werde ich nach Frankreich und in die Schweiz reisen.«
So kam mir die Idee.
Warum auf einen Brief warten, der vielleicht nie geschrieben würde? Warum nicht die letzten Tage des Sommers nutzen und eine lange, aufregende Reise quer durch Frankreich und in ein Land machen, das ich noch nie gesehen hatte? Sofort malte ich mir all die Wunder aus, die mir begegnen würden: Burgen auf Bergzinnen, Wälder in tiefster Dunkelheit, schimmernde Seen, eisige Gletscher, Gipfel, die bis hoch an den abnehmenden Mond ragen, Almen voller Enzian, Glockenspiel bei Sonnenuntergang und Gasthöfe am Wegesrand, die Rheinwein und Wildschweinbraten servieren.
Und sollte mir, bei der Ankunft im Château de Saint Maurice, dem Wohnsitz von Louises Vater, der Empfang darin und in Louises Leben verwehrt werden, nun, dann wäre ich immerhin in die Ferne gereist. Ich hätte die reine Luft der Berge geatmet und in Höhen gestanden, die ich noch nie erklommen hatte, um zu sehen, was es zu sehen gäbe. Ich hätte Geschichten zu erzählen.
Nachdem James und Arabella Prideaux wieder aufgebrochen waren, rief ich Will zu mir und erklärte ihm: »Du hattest Recht, Will. Ich habe simuliert. Doch nun wirst du es nicht mehr ertragen müssen. Fortan werde ich Vorkehrungen zu einer Reise in die Schweiz treffen.«
»In die Schweiz?«, sagte Will. »Da würde ich nicht hinfahren, Sir Robert. Ich habe gehört, es ist dort sogar noch kälter als in Schottland. Wie werdet Ihr da Euer Blut warm halten?«
Ich wollte schon antworten, dass ich eine große Menge jener hervorragenden Flüssigkeit trinken würde, die sie Schnaps nennen und die für ihre wärmenden Eigenschaften bekannt ist, doch stattdessen sagte ich: »Dem Kalender nachist es noch Sommer. Und zum Zeitpunkt meines Aufbruchs wird der Sommer sanft in den Herbst übergehen, und dann werde ich goldene Buchen und stattliche Tannen und schneebedeckte Berggipfel sehen. Und schließlich werde ich Gast von Baron de Saint Maurice sein, in dessen Haus lodernde Feuer in den Kaminen brennen …«
»Verzeiht, Sir, aber hat er Euch auch tatsächlich eingeladen ?«, fragte Will.
»Ja«, erwiderte ich. »Die Einladung steht schon lange. Ich war nur noch nicht so frei, sie anzunehmen.«
»Und für wie lange plant Ihr Eure Abwesenheit von Bidnold?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht für einige Monate. Alles hängt davon ab, wie lange ich im Château des Barons willkommen bin.«
»Und wir, Sir? Cattlebury und ich und die anderen Dienstboten. Was sollen wir während Eurer Abwesenheit machen?«
»Was ihr immer macht. Den Haushalt führen. Einen Teil des königlichen loyer wirst du persönlich verwalten und alle Ausgaben damit bestreiten. Ich bitte dich nur, dass du das Geld irgendwo versteckst, wo nur du drankommst – denn nachdem Sharpe sich mit meinem Geldbeutel davongestohlen hat, traue ich niemandem mehr. Sorg dafür, dass alles jederzeit für meine mögliche Rückkehr bereit ist.«
Will starrte mich an. Und ich sah, wie sein Gesicht sich zu einer Miene beängstigender Traurigkeit verzog, und er begann, seinen alten Kopf zu schütteln, wie in Verzweiflung über meine neuerliche Wendung in Laune und Ton.
»Was ist, Will?«, fragte ich.
»Nichts, Sir«, antwortete er. »Nur weiß ich, dass ich mich ein wenig einsam und verlassen fühlen könnte …«
»Du bist nicht ›verlassen‹, Will. Es ist doch nur eine kurze Zeitspanne. Und bitte denk daran, dass der König, auch wenn ich nicht hier sein werde, aufgrund des großzügigen Salärs, das er mir zahlt, das Recht hat, jederzeit auf BidnoldWohnung zu nehmen. Weshalb alles ständig blitzblank poliert sein muss – die Kandelaber im Speisesaal, das Silber und das Zinnzeug …«
»Ich werde daran denken …«
»Und glaub nur nicht, dass ich nicht an dich denken werde. Jeden Morgen, wenn ich in irgendeinem mittelalterlichen Turm aufwache und gen Nordwesten, nach England
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