Adieu, Sir Merivel
Herzen wohnte wie Gott in den Herzen wahrer Christen? Seit er Margaret in ein Leben eingeführt hat, das ihren Untergang bedeuten kann, ist er daraus fast verschwunden und hat nur einen blassen Nachhall seiner Gegenwart hinterlassen: einen Hauch von Parfüm, ein perlendes Gelächter. Doch ich empfinde sein Fehlen nicht als Erleichterung, sondern als eine schreckliche Wunde in meiner Brust.
Meine Träume wiederum sind – auch wenn das seltsam klingt – von süßer, tröstlicher Art. Häufig bin ich darin wieder ein fünfjähriger Junge, der mit seiner Mutter im Wald von Vauxhall nach Dachsen Ausschau hält. Sie legt im ersten Abendhauch eine Decke auf die Erde und setzt sich darauf, und ich setze mich neben sie, schmiege mich in ihre Armbeuge, spüre ihren warmen Körper an meinem Bein, und sie sagt: »Wenn du ganz ruhig bleibst, kommt ein Dachs aus seinem Bau, und du kannst sein schwarzweißes Gesicht sehen.«
Und nach einer Weile erscheint dann eines dieser Tiere, und es läuft auf seinen Hinterbeinen im Kreis und dreht Pirouetten, als tanzte es für uns, und ich bin völlig gebannt und spüre, während meine Mutter mich an sich drückt, wie sie sich freut.
Doch in Wirklichkeit hat uns nie ein Dachs besucht, obwohl wir immer wieder in den Wald von Vauxhall gingen. Vermutlich habe ich mich nie still genug verhalten, sondern geschwatzt und gezappelt. Ich begreife deshalb, dass meine Träume mir zeigen, was hätte sein können , wenn ich mich anders verhalten hätte. Und ich beginne mich zu fragen, ob uns ein Traum vielleicht auch lehren kann, wie wir uns in Zukunft verhalten sollten?
Ich weiß nicht, was diese Zukunft für mich bereithält. Im Augenblick scheint mir, sie hält absolut gar nichts für michbereit. Ich liege über einem Abgrund. Die Tiefe unter mir ist schwarz und schweigend. Ich horche, ob ich den Wind hören kann oder das Rufen einer menschlichen Stimme, aber da ist nichts.
Ich schicke einen meiner Lakaien namens Sharpe zu Dunn in Norwich mit einer Bestellung für weiteres Opium. Obgleich ich versucht habe, nicht an diesen so verlockend wirksamen Trost zu denken, will mein Körper nicht davon lassen, weil er einen das Leiden vergessen lässt.
Doch leider kommt Sharpe nicht zurück. Opium ist sehr teuer, und ich schickte ihn mit einer beträchtlichen Summe los. Und Will kommt zu mir und sagt: »Sir Robert, dieser verfluchte Sharpe ist allem Anschein nach ein durchtriebener Schurke und ein Dieb. Da macht er sich einfach davon, mit allen Kleidern in einem Sack und all seinen Habseligkeiten, bis auf die Hauslivree, weil er weiß, dass er nicht wieder nach Bidnold zurückkommt, sondern eine hübsche Weile von dem Opiumgeld leben wird. Was sagt Ihr dazu?«
»Was ich dazu sage?«, erwidere ich. »Ich finde es beklagenswert. Aber was soll ich machen?«
»Ihr solltet ihn verfolgen und fangen, und dann muss er gehängt werden wegen Gaunerei und Diebstahl!«
Ich blicke Will an. Obgleich ich schockiert bin, dass ein Dienstbote mich bestiehlt und so wenig schätzt, dass er mein Vertrauen verrät, höre ich mich sagen: »Ach, leider. Unser England gedeiht nicht, Will.«
»Was hat das denn mit Sharpe zu tun, Sir?«
»Nun, nur Folgendes: Immer mehr Menschen wollen ihr Handwerk oder ihr Geschäft nicht mehr betreiben, oder sie werden selbst hinausgeworfen und entwickeln frevelhafte Gedanken – selbst Lakaien, die doch in Demut geübt sind und Befehlen von oben zu gehorchen wissen. Und ich weiß nicht, was sich dagegen machen lässt.«
»Seine Majestät muss Gesetze erlassen …«
»Seine Majestät hat kein Parlament einberufen, das sie erlassen könnte.«
»Also geht alles zugrunde, Sir Robert?«
»In Anbetracht dessen, was wir erhofften, ja, durchaus. Die Restaurationszeit war eine Zeit der Möglichkeiten, du und ich, wir haben sie beide erlebt, doch die Chancen wurden verspielt und sind dahin.«
»Und was wird dann aus uns?«
»Das weiß ich nicht, Will. So, und jetzt gebe ich dir einen Beutel Geld. Morgen musst du eine Kutsche nach Norwich nehmen und mir bei Dunn das Elixier besorgen, das ich benötige.«
»Wie belieben, Sir?«
»Du hast mich gehört.«
»Ich hörte das Wort Elixier, und das ist alles.«
»Und du wirst nach Norwich fahren und es besorgen.«
»Ich habe nicht die Erlaubnis, irgendein ›Elixier‹ zu besorgen.«
»Doch, ich erteile dir die Erlaubnis.«
»Ich wollte sagen, ich kann das nicht tun. Ich wollte sagen, ich will es nicht. Und damit ist das Thema beendet.«
Will,
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