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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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werde mit der Königin und dem Herzog von York beratschlagen, und wir werden einen geeigneten Moment finden, bevor Seine Majestät uns entschlüpft. Ich weiß, dass Ihr nicht an einen Lohn im Himmel glaubt, doch solltet Ihr dorthin kommen, werdet Ihr es vielleicht.«

34
    Am Mittwoch, dem 4. Februar, schien der König sich, nach einem langen Schlaf, erholt zu haben. Ich drängte darauf, dass ihm eine Markknochenbrühe gekocht würde, wie sie Margaret während der Typhuserkrankung am Leben gehalten hatte. Dies wurde getan, und nachdem er sich im Bett aufgesetzt hatte, um rasiert und gewaschen zu werden, half ich ihm dabei, ein wenig davon zu trinken.
    Weil ich Seiner Majestät die Brühe in den Mund löffelte, war ich gezwungen, sehr nahe bei ihm zu sitzen, und konnte, ungehört von den anderen im Raum, mit ihm reden und ihm auf diese Weise berichten, dass Pater Huddleston, sobald es dem Herzog von York gelungen wäre, das Schlafzimmer von all den Bischöfen und versammelten Kronräten zu befreien, mit der Hostie erscheinen werde.
    »Wann wird das geschehen?«, flüsterte er.
    »Ich weiß es nicht, Sire«, erwiderte ich. »Doch es wird geschehen. Vertraut mir.«
    Bei dieser letzten Aufforderung sah ich im Gesicht Seiner Majestät etwas, was ich viele lange Stunden nicht gesehen hatte, und das war ein Lächeln.
    »Ich weiß«, sagte ich und wusste sofort, was sich hinter dem Lächeln verbarg, »ich habe Euer Vertrauen einst gebrochen, doch das ist lange her. Und sagt mir, Sire, habe ich Euch seitdem jemals verraten?«
    Der königliche Kiefer arbeitete entsetzlich langsam an der Brühe, fast als wäre es ein Klumpen zähen Fleischs. Dann sagte er leise und traurig: »… Clarendon verraten.«
    »Ach ja«, sagte ich. »Clarendon. Aber dafür büße ich. Ich versuche, einen Traktat über die Seele der Tiere zu verfassen, und Clarendon steht mir dabei stets zuvörderst vor Augen.«
    Ich dachte, der König würde darüber lachen oder zumindest lächeln, doch das tat er nicht.
    »Die Seele der Tiere … ganz sicher«, sagte er und nickte so heftig, wie es ihm sein armer malträtierter Kopf erlaubte. »Tiere haben eine Seele …« Dann zerrte er plötzlich an seinem Bettzeug und fragte: »Wo ist Bunting?«
    Ich schickte einen Dienstboten mit dem Auftrag fort, herauszufinden, wo die Hunde untergebracht waren, und Bunting zu Seiner Majestät zu bringen. Ich hoffte, nun würde er weiter die Brühe trinken, doch er stieß den Löffel weg und wiederholte: »Wo ist Bunting? Ich muss sie hier bei mir haben.« Dann blickte er sich verstört um, sah all die Gesichter in dem überfüllten Zimmer und sagte: »Warum ist niemand bei mir? Wo sind meine Kinder? Wo ist Fubbs?«
    In diesen letzten Tagen war ich ein wahrer Springteufel … ans Bett Seiner Majestät gerufen, wieder weggeschickt, erneut herbeizitiert und ein weiteres Mal entlassen …
    Dieses Hin und Her ähnelte – und darüber musste ich lächeln – einer beschleunigten Version meines Lebens mit meinem König. Und ich dachte bei mir, dass eine derart ungewisse Situation mich eigentlich hätte wendig und gewitzt machen sollen, doch das war nicht der Fall. Ich war seit jeher – wie Pearce es einmal formulierte – Cäsars Sklave. Und jetzt, immer noch ein Sklave, wurde ich alt und plattfüßig.
    Doch eines wusste ich ganz sicher: Wenn die Stunde kam und König Charles seinem Königreich Lebewohl sagte, würde ich an seiner Seite sein. Ich war fest überzeugt, dass ich, auch wenn er mitten in der Nacht starb, geweckt werden würde, bevor es so weit war. Und auch wenn er in den Armen der Königin stürbe oder in den Armen von Fubbs, sah ich mich ihm im Geiste dennoch beistehen.
    Am Mittwochabend verbreitete sich von Whitehall das Gerücht über die gesamte Stadt, der König erhole sich und werde bald wieder gesund sein, weshalb wir in ganz London die Glocken läuten hörten, und als ich aus einem der oberen Fenster in die einbrechende Dunkelheit hinausschaute, sah ich hier und da Freudenfeuer auflodern. Ich aber wusste, dass der König nicht wieder gesund würde. Und am liebsten wäre ich hinausgegangen und durch die Stadt gewandert, um mich an den Feuern zu wärmen und den Menschen zu sagen, sie sollten ihre Trauerkleidung herausholen und alles zu Mrs. Pierpoints ausgezeichneter Wäscherei auf der London Bridge zur Reinigung bringen.
    Als ich in Fubbsys Gemächer zurückkehrte, sah ich, dass sie einer schauerlichen Entblößung unterzogen worden waren. Sämtliche Gegenstände,

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