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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Mal tatsächlich nicht, was ich tun oder wohin ich mich wenden sollte. Ich wünschte nur, ich wäre jünger und wendiger und besäße ein Herz, das dem großen Abenteuer, zu dem ich aufgebrochen war, leidenschaftlicher entgegenschlüge als meines.
    Meine schweren Koffer möglichem Diebstahl überlassend, betrat ich das Grand Commun , wandte mich nach links und sah mich beim Öffnen der ersten Tür, auf die ich stieß, zu meiner Erleichterung in einer ungeheuer großen Küche, in der fünfzehn oder zwanzig Köche offenbar gerade ein Festmahl zubereiteten. Dampf stieg aus zwei großen Suppenkesseln auf einem geschwärzten Herd, es duftete nach geschmortem Lauch und Zwiebeln, und die Luft hallte wider vom Lärm und der badinage der Köche bei ihrer Arbeit.
    Da ich seit vielen Stunden nichts gegessen hatte, blickte ich mich sehnsüchtig um und entdeckte eine beträchtliche Anzahl Hühner und Kaninchen, die sich an einem Bratspieß drehten, und einige ergötzlich zarte Pasteten, die zum Abkühlen auf eine Marmorplatte gestellt worden waren.
    Ich nahm meinen Hut ab, grüßte die Köche und sagte in meinem uneleganten Französisch: »Ihnen einen guten Tag, Messieurs. Ich bin aus England gekommen, ein Gesandter meines Königs.«
    Ein oder zwei Köche blickten auf und starrten mich an. Die anderen fuhren einfach in ihrer Arbeit fort. Niemand sagte etwas.
    »Bitte verzeihen Sie mir das Eindringen in Ihr Reich«, fuhr ich fort. »Doch ich gestehe, ich bin ratlos. Und ein bisschen hungrig.«
    Woraufhin einer der Küchenmeister ein Musselintuch über die Pasteten warf, auf die es, wie er wohl bemerkte, meine Augen (wenn nicht gar meine Hände) abgesehen hatten. Dann wischte er sich die Stirn mit einem Zipfel seiner Schürze und sagte zu mir: »Bitte geht, Monsieur. Wir haben keine Zeit, mit Fremden zu sprechen.«
    »Aha«, sagte ich, »ich verstehe. Aber wenn mir einer von Ihnen vielleicht den Weg zeigen könnnte … man wies mich an, nach den Surintendents du Grand Commun zu fragen …«
    Da packte mich dieser Koch mit seiner feuchten, fleischigen Hand am Arm und schob mich zu der Tür, durch die ich gekommen war, und zeigte auf eine Treppe am Ende des Ganges. » Surintendents da oben«, sagte er. »Nicht in der Küche.«
    In der folgenden Stunde lief ich durch die Korridore des Grand Commun . Hier im ersten étage gab es anstatt Sandstein wie im Erdgeschoss poliertes Holz und Gobelins, die zwischen den Fenstern hingen, und überall standen marmorne Büsten und Statuen von solch blendendem Weiß, dass esschien, als wären sie erst an diesem Tag aus der Werkstatt des Bildhauers gebracht worden.
    Es war jedoch schwierig, irgendetwas aus der Nähe zu betrachten, da es überall von Menschen wimmelte: Männer und Frauen in einem Aufzug, den ich für die neueste Pariser Mode hielt. Sie verpesteten die Luft mit ihrem starken Parfüm, ihrem Perückenpuder und den seltsamen Chemikalien, die Frauen zu benutzen pflegen, um sich Schönheitsflecken ins Gesicht zu malen.
    Ich bewegte mich mit einem Lächeln auf den Lippen durch diese Menge, ganz als wäre ich ein alter habitué des Hauses, obgleich ich weder eine Vorstellung davon hatte, wohin ich gehen und wen genau ich aufsuchen sollte, noch hätte sagen können, wo meine verwaisten Koffer standen.
    Nach einer Weile bemerkte ich, dass einige der Höflinge mich seltsam anblickten, und plötzlich tippte mir ein Mann in einem korallenfarbenen Satinrock mit Daumen und Zeigefinger leicht auf die Schulter, lachte und sprang davon. Daraufhin drehten sich auch seine Begleiter um, betrachteten mich und stimmten in das Lachen ein. Ich sah an mir hinunter, ob vielleicht noch Dreck oder Stroh an meinem Rock klebte, aber er schien mir sauber genug, weshalb ich ahnungslos weiterschritt. Das gehört zu den Dingen, die ich verachte: wenn andere mich auslachen, ohne dass ich den Grund dafür kenne. Ich bin gern bereit, die Zielscheibe von Spott zu sein, was ich schließlich auch häufig in Whitehall war, aber um selbst Vergnügen daran zu haben, muss ich wissen, worin der Witz besteht.
    Hunger verfolgte mich. Ich war beinahe schon bereit, wieder hinunter zur Küche zu gehen und die Köche um eine Schale Suppe zu bitten, als endlich ein freundliches altes Weib mit einer eigenartigen Haartracht aus schwarzer Spitze mich langsamen und gemessenen Schrittes zu einem der Surintendents des Hauses brachte.
    Mittlerweile taumelte ich fast vor Erschöpfung und fühlte mich am Rande des Wahnsinns. Mit verzweifeltem

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