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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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fallen, die frostkalte Wache. Und während ich zitternd zum Tor gehe, frage ich mich, wie viel im Leben aus nichts als Erdulden besteht. Und ich denke an Margaret in Cornwall und bete, dass sie in einem warmen Bett liegt und schläft.
    Am Tor ist alles still und verlassen. Ich umfasse die Gitterstäbe und spähe hindurch, ob vielleicht irgendjemand dort auf dem Boden schläft. Ich rufe leise und klimpere mit einpaar Münzen, die ich in meiner Rocktasche entdeckt habe. Doch nichts rührt sich.
    Als ich mich umdrehen und zu meiner Pritsche zurückkehren will – falls es mir gelingen sollte, das Zimmer wiederzufinden –, vernehme ich das Rumpeln von Rädern und das Schnauben eines Pferds. Ich warte und schaue. Endlich erscheint ein langsamer Karren, der von einer großen Shire-Stute gezogen wird, und ich sehe zwei in Tücher gehüllte, aneinandergekauerte weibliche Gestalten auf dem Karren.
    Und dann erkenne ich es, dieses schwere Fuhrwerk, das lange, bevor der Morgen dämmert, vor die Palasttore fährt: Es ist ein Milchwagen.
    Nie hätte ich gedacht, dass Milch etwas so Schönes und Wunderbares sein kann. Ich bezahle für einen bis an den Rand gefüllten Krug aus den Händen der Milchmädchen. Die Milch ist sahnig und frisch und von der Nachtluft gekühlt; ich trinke sie mit dem zufriedenen Vergnügen eines Babys, das an der Brust seiner Mutter saugt. Dann kaufe ich einen zweiten Krug und stürze auch den hinunter, und die Milchmädchen in ihren wollenen Umhängen blicken mich an und lächeln.

6
    Einige Tage sind vergangen.
    Ich habe mir meinen Teil vom Zimmer des Niederländers notdürftig eingerichtet, indem ich meine Pritsche zwei Meter nach links rückte, und kann nun einige meiner Kleider an behelfsmäßige Holzhaken hängen und meine Stiefel zum Lüften aufstellen.
    Ich lebe von eingelegten Erbsen, Brot und Milch, erstanden bei den armen Händlern am Tor, und trinke wie der Niederländer, der Jan Hollers heißt, Wasser aus den Brunnen. Hollers hat mir großzügig einen hölzernen Teller und Löffel geliehen, und wir sitzen nebeneinander auf Hollers’ Bett und löffeln Erbsen und Haferbrei in unsere hungrigen Münder.
    Und es geht mir durch den Sinn, dass ich hier am reichsten Königshof der Welt (und trotz eines in meinem Besitz befindlichen Schreibens vom König von England) wie ein Almosenempfänger lebe, ein Paradox, das mich gleichzeitig zum Weinen und zum Lachen bringt. Und ich versuche, mich an das Lachen zu halten, als Waffe gegen die Melancholie. Denn ich sehe nicht, dass sich mein Schicksal in nächster Zeit wenden könnte, und über die Vorstellung, mit der grässlichen Last des Scheiterns auf den Schultern nach Norfolk zurückzukehren, mag ich kaum nachdenken.
    Hollers hat mir ein paar Ratschläge gegeben, meinen Brief an den König betreffend. Es scheint nur drei Möglichkeiten zu geben:
    1. Ich muss, wenn möglich, einen gewissen Monsieur Bontemps aufsuchen, der des Königs erster Valet de Chambre ist. »Wenn Bontemps Euch sein Ohr leiht, dann gehört auch das des Königs Euch.« Doch auch wenn ich mir habe sagenlassen, wie Bontemps aussieht und dass er unter den Personen, die sich um den Monarchen drängen, hervorsticht, weil seine Perücke klein und flaumig ist, ist es mir bis jetzt nicht gelungen, ihn eindeutig zu identifizieren.
    2. Um acht Uhr morgens, wenn der König die Appartements verlässt, um die Messe in der Kapelle zu besuchen, soll ich versuchen, mich in jener Ecke der Salle des Gardes aufzustellen, die den Appartements- Türen am nächsten ist. Denn König Louis habe die Gewohnheit, kurz dort stehenzubleiben und aus der Gruppe der Höflinge ein oder zwei Petitionen entgegenzunehmen. »Ich habe gehört«, sagt Hollers, »dass er huldvoll ist. Was er verspricht, wird er auch tun oder veranlassen.«
    Ich sagte Hollers, dass ich es versuchen würde, und er mahlte beifällig mit seinen Backenzähnen. An den folgenden Morgen, nachdem ich meine Perücke gebürstet, die Falten aus meinem besten Rock geschüttelt, mit Speichel die Schnallen meiner Schuhe poliert hatte und zur Salle des Gardes geeilt war, fand ich jedes Mal schon eine große Menge Menschen vor, in jene Ecke gedrückt wie Tiere in einem Käfig und einander hässlich stoßend, sobald die Tür sich öffnete und der König heraustrat. Er schritt vorbei, ohne auch nur in meine Richtung zu blicken.
    Ich hatte jedoch endlich Gelegenheit, ihn zu beobachten. Er ist nicht so hochgewachsen und so stattlich wie mein Gebieter, König

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