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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Charles. Doch er besitzt große Würde, hält sich sehr aufrecht und wirkt so gesammelt, als wollte er gleich zu einer Gavotte ansetzen. Seine Nase ist sehr lang.
    3. Zur Essenszeit, das heißt also etwa um elf Uhr dreißig am Morgen, ergeht König Louis sich gern in der Galerie des Glaces , die mit ihren siebzehn Fenstern und mehr als hundert Spiegeln einer der prunkvollsten Säle in Versailles ist. Anscheinend darf man sich ihm hier gelegentlich nähern. Dies werde ich also zu gegebener Zeit versuchen. Doch im Augenblick fehlt mir offenbar der Mut. Denn wenn ich dort zurückgewiesen würde, wäre dies ein schreckliches öffentliches Ereignis, und mir bliebe keine andere Wahl, als meine Koffer zu packen und mich auf den Weg nach Dieppe zu begeben.
    Viele Tage sind nun vergangen. Ich selbst habe in meinen Versuchen, die Aufmerksamkeit König Louis’ auf mich zu ziehen, zwar keine Fortschritte gemacht, aber erfreulicherweise kann ich berichten, dass heute Madame de Maintenon nach Mr. Hollers geschickt hat.
    Hollers hatte seinen besten Rock angelegt, und in den Händen hielt er, eingeschlagen in ein wollenes Tuch und zärtlich wie ein Kind, eine kleine, aber wunderschöne Uhr, die er als Beispiel für seine Arbeit aus den Niederlanden mitgebracht hatte.
    Ich fragte ihn, ob ich das Stück betrachten dürfe, bevor er zu seinem großen Gang aufbrach. Ich bin kein Kenner von Uhren, aber dennoch konnte ich sehen, dass das Gehäuse außerordentlich zierlich gearbeitet war und die Messingzeiger große Schlichtheit und Schönheit verrieten. Und gleichzeitig konnte ich es nicht verhindern, dass mir Bilder von Hollers in den Sinn kamen, wie er in seinem Bett schnarchte, Marmelade verschlang, seine Perücke entlauste, mit den Zähnen knirschte, furzte und in unseren gemeinsamen Nachttopf schiss, und diese Bilder legten sich über die reizende Symmetrie der Uhr.
    Gleichzeitig dachte ich, dass man tunlichst vermeiden sollte, die Empfindsamkeit eines Menschen nach seinen täglichen Gewohnheiten oder dem Zustand seiner Kleider zu beurteilen. Zum Ausgleich für meine unfeinen Gedanken sagte ich zu Hollers: »Mein lieber Freund, ich verstehe nicht, warum Ihr es nötig habt, mit Arbeiten dieser Qualität nach Frankreich zu kommen. Geben denn Eure Landsleute nicht schon ausreichende Mengen bei Euch in Auftrag?«
    Hollers schlug den Zeitmesser wieder in das wollene Tuch ein und faltete es viele Male.
    »Es mag der Fluch unseres Zeitalters sein«, erwiderte er, »aber mir einen kleinen Namen in den Niederlanden zu erwerben, hat mir offenbar nicht genügt. Ich scheine vom Leben mehr zu verlangen. Wenn Madame de Maintenon meine Gönnerin wird, dann werde ich mein Unternehmen nach Paris verlegen, und dann werde ich berühmt.«
    Ich wünschte ihm alles Gute, er brach auf, und sofort begann mein Herz um ihn zu bangen. Für so lange Zeit ein Leben mit Marmelade und Haferschleim zu fristen und dann, am Ende, nichts in den Händen zu halten, erschien mir wahrhaftig beklagenswert, und ich merkte, wie ich plötzlich betete, dass dies nicht geschehen möge.
    Im Geiste begleitete ich Hollers auf seinem erwartungsvollen Weg zu den Gemächern Madame de Maintenons. Ich hatte Madame einmal mit eigenen Augen gesehen: eine beleibte Frau reiferen Alters, ohne besondere Schönheit und ganz in schwarzen Samt gekleidet. Doch der Leumund behauptet, sie sei außerordentlich klug und sehr geistreich, und das seien die Dinge, die den König an sie bänden. Ich hatte keine Ahnung, ob sie sich durch eine zierliche niederländische Uhr rühren lassen würde oder nicht.
    Ich setzte mich auf Hollers’ Bett, wo ich noch den Abdruck seines Körpers erkennen konnte, und versuchte mir vorzustellen, wie seine Träume Wirklichkeit wurden: das Schild über seinen Gewerberäumen in Paris, ganz in der Nähe der Seine, und das Licht vom Fluss, welches das glänzende Messing der zahllosen Zeiger und Pendel zum Funkeln brachte.
    Und während die Sekunden und Minuten vergingen, dachte ich darüber nach, wie doch der Mensch sich abmühte, die Zeit darzustellen oder »festzuhalten«, und ich dachte, dass für Uhrmacher wie Hollers eben dieser Gegenstand, den sie zu bearbeiten suchten, ein herzloser, kapriziöser Feind war, alldieweil er sie bestahl und niemals ruhte.
    Als Hollers zurückkam, war es fast dunkel in unserem kleinen Zimmer. Er betrat den Raum, setzte sich auf meine Pritsche und rieb sich die Augen.
    »Nun, Hollers?«, sagte ich und erhob mich. »Wie ist es Euch

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