Adieu, Sir Merivel
»Mon père, ich bekenne, dass ich nicht mehr weiterweiß. Aus Ehrgeiz und Gier und aus einer Art ruheloser Einsamkeit bin ich, in der Hoffnung auf eine Beförderung, nach Frankreich gekommen. Doch die blieb mir verwehrt, und nun weiß ich nicht, welchen Weg ich einschlagen soll.«
»Sprich, mein Sohn«, sagte der Priester erneut.
»Das ist alles«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was ich noch hinzufügen sollte. Ich bekenne meine Gier. Doch sie ist mir nicht gelohnt worden, außer mit bitterer Enttäuschung. Und nun geht mir auch noch das Geld aus. Ich wünschte, Gott würde mir raten, was ich als Nächstes tun soll.«
Es folgte ein kurzes Schweigen auf Seiten des Priesters in der Kammer. Dann räusperte er sich und sagte: »Gott gibtkeine Anweisungen. Um herauszufinden, was du tun sollst, musst du in dein eigenes Herz blicken.«
Ich verbrachte einige Zeit allein in meinem Zimmer in der Auberge St. Denis, wo der de Flamanville’sche Kutscher mich abgesetzt hatte. Sie lag auf der Isle de la Cité mit Blick auf den glänzenden Fluss.
Es gefiel mir, all dem Treiben auf dem Wasser zuzuschauen. Ich sah Frachtkähne, die Holz und Seekohle und Wollballen und Sand und Schiefer transportierten. Ich sah einen, der bis oben hin mit Pelzen beladen war, einen anderen mit Zwiebeln und wieder einen anderen mit lebenden Enten in Holzkäfigen. Und das Rufen der Kahnführer und die Schreie der anderen Ruderer, die Passagiere übersetzten oder die Seine aufwärts und abwärts fuhren, klangen für meine Ohren recht genau wie die auf der Themse – stets ging es ums Handeln und um nichts sonst. Und ich dachte, wie sehr sich England und Frankreich in ihren Krämerseelen glichen und dass beide Länder von Rechts wegen in einen geräumigen Beichtstuhl gestopft werden sollten, um dort all ihre Habgier preiszugeben.
An den Treppen und den hölzernen Laufstegen, die zum Wasser hinunterführten, drängte sich ein buntes Völkchen von Bettlern, genau wie in London, die Hände ausgestreckt, die Augen groß vor Hunger. Und da ich von meiner ersten Nacht in Versailles noch wusste, welche Pein wirklicher Hunger bereiten kann, verteilte ich hier und da einige sous.
Ich hatte den Priester jedoch nicht angelogen, als ich behauptete, mir gehe das Geld aus, und so konnte ich nicht viel hergeben. Und es war dann auch die Vorahnung meiner eigenen drohenden Armut, die mich in meiner zweiten Nacht in der Auberge St. Denis folgenden Brief schreiben ließ:
An Wm. Gates
Bidnold Manor, in der Grafschaft Norfolk
England
Mein lieber Will,
ich schreibe Dir aus Paris, wo ich Logis bezogen habe, und nicht weit entfernt von Versailles, wo ich eigentlich sein sollte, aber nicht bin, weil Seine Majestät, König Louis, genügend Ärzte um sich hat und mich nicht braucht, um ihre Zahl zu vergrößern.
Ich habe deshalb beschlossen, dass ich noch vor Weihnachten nach Bidnold zurückkehren werde. Ich weiß, dass Miss Margaret bis Epiphanias in Cornwall bleibt, aber ich werde trotzdem zurückkommen und hoffentlich einiges an Unterhaltung ersinnen, das uns über die Weihnachtstage fröhlich sein lässt, damit kein Engel der Melancholie uns aufsucht und keine Taschentücher mehr verbraucht werden müssen.
Bitte richte also das Haus für meine Rückkehr in vielleicht einer Woche her.
Ich verbleibe
Dein Dir zugetaner Herr und Freund
Sir R. Merivel
Ich saß lange an meinem Fenster, während eine Kerze niederbrannte.
Ich versuchte zu entscheiden, ob ich einen zweiten Brief schreiben sollte, bevor ich Paris verließ, und diesmal an Louise. Selbst wenn das Ehepaar de Flamanville, wie geplant, nach Versailles zurückgekehrt war, konnte ich, meiner Einschätzung nach, nicht sicher sein, dass ein Brief von mir nicht in feindliche Hände – die von Mademoiselle Corinne – fallen würde, bevor die wunderbare Frau, für die er gedacht war, ihn erhielt.
Schließlich beschloss ich, eine schlichte, kurze Nachricht zu verfassen, die wie folgt lautete:
Chère Madame,
es schmerzt mich, dass ich gezwungen war, Ihr Haus zu verlassen, ohne Abschied zu nehmen.
Ich kehre in Kürze nach England zurück.
Bitte beehren Sie mich am Dienstagnachmittag um zwei Uhr mit Ihrer Anwesenheit im Jardin du Roi, in der Nähe der Stelle, wo der Käfig des Bären steht.
Ich verbleibe
Ihr bescheidener Diener
Merivel
Ich versiegelte die Briefe und brachte sie nach unten mit der Bitte, sie möchten unverzüglich in die Posttasche gelegt werden. Und als ich das getan hatte, spürte ich eine
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