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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Art soulagement , meine Sorgen und Ängste ließen nach, aus dem einfachen Grund, weil ich einen Plan gefasst hatte.
    Jetzt ist Dienstag.
    Gestern holte ich meine Röcke bei Monsieur Durand ab und bin sehr angetan von ihrem veränderten Aussehen. Die Art, wie die Bänder an meinen Armen hinunterflattern und -fallen, empfinde ich als seltsam angenehm, fast als wären es Flügel, bereit, mich in den weißen Winterhimmel emporzutragen. Sie scheinen meinem Gang eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen.
    Als ich durch das Tor des Jardin du Roi trete und dem Wächter mitteile, ich sei ein »naher Bekannter« von Madame de Flamanville, verrät seine Miene Respekt, während er mich von oben bis unten betrachtet. Ich weiß jedoch, dass dieser Respekt nicht mir gilt, sondern meiner Kleidung, und ich staune erneut über das Wunder, das die Mode und einzig die Mode bewirken kann.
    Der Tag ist trübe; letzte Platanenblätter fliegen herab und gesellen sich zu den übrigen auf den Kieswegen, dunkle Wolken versprechen Regen. Doch bei dem Gedanken, dass ichin wenigen Minuten vielleicht Louise sehen werde, wird mir warm ums Herz, und ich lege meine behandschuhten Hände dorthin, wo ich weiß, dass mein Herz ist, und sofort lässt die Kälte in meinen Fingern ein wenig nach.
    Ich gehe zu dem Bären. Er heult nicht mehr, sondern sitzt in einer Lache aus eigenen Exkrementen und starrt in die Welt hinaus.
    Ich weiß nicht, warum das Elend eines Tiers mich so tief bewegt. Vielleicht, weil ich selbst meine animalische Natur noch nicht ganz überwunden habe, und wenn Tiere mit mir reden und über meine Scherze lachen könnten, dann gehörten wohl nicht nur Hunde, sondern auch Rinder und Schafe zu meinen engsten Freunden.
    Ich nähere mich dem Käfig. Es stinkt nicht nur nach Exkrementen, sondern auch nach animalischem Entsetzen. Ich kann wenig anderes tun als dastehen und das Geschöpf anschauen. Es bewegt sich nicht, doch seine wässrigen Augen betrachten mich mit einer Art passiver Zärtlichkeit, als wüsste es um meine Hilflosigkeit. Dann, plötzlich, stellt es sich auf seine vier großen Tatzen, kommt auf mich zu und steckt seine Schnauze durch die Gitterstäbe des Käfigs.
    Geifer tropft aus seinem Maul. Ich würde ihm schrecklich gern Wasser oder Futter geben, habe aber beides nicht. Ich gehe ein bisschen näher heran und strecke meine Hand aus, und der Bär macht ein Geräusch, das kein wirkliches Heulen ist, sondern nur ein leiser Sehnsuchtslaut.
    Eine Stimme in meinem Rücken sagt: »Wie ich sehe, ist der Bär nicht nach Versailles gekommen. Ich fürchte, er ist dem König nicht schneidig genug.«
    Ich drehe mich um und sehe Louise, die einen mit weißem Pelz besetzten Umhang trägt, und ich entferne mich vom Bären, gehe zu ihr, verbeuge mich, nehme ihre Hand und bedecke sie mit einem glühenden Kuss.
    »Louise«, sage ich, »ich bedaure unendlich, dass ich so überstürzt aufbrechen musste. Ich wäre gerne vorher nocheinmal zu Ihnen gekommen. Da waren hundert Dinge, die ich Ihnen hätte sagen wollen, doch der Kammerdiener Ihres Gemahls war stets in meiner Nähe, selbst, als ich meine Sachen packte, und führte mich dann direkt zur offenen Haustür und zur Kutsche …«
    »Ich weiß«, sagt Louise. »Und ich konnte auch nicht zu Ihnen kommen, aus Furcht vor Jacques-Adolphes Reaktion. So wurden wir getrennt.«
    Wir blicken einander an, beide in der Gewissheit, dass dieses Wiedersehen nur kurz sein würde und in Wahrheit nur das Vorspiel zu einer erneuten Trennung. Meine Sehnsucht, Louise in meine Arme zu nehmen, ist so groß, dass ich mich umblicke, um mich zu vergewissern, dass wir in diesem Teil des Jardin alleine sind, und ich bin äußerst verärgert, als ich sehe, dass sich zwei Wachposten sehr schnell nähern, beide tragen Musketen.
    »Louise«, sage ich. »Ich fürchte, ich werde gleich erschossen.«
    Sie dreht sich um und sieht die Soldaten. Ihre Hand fliegt vor den Mund, sie stellt sich mutig vor mich. »Das würde er nicht wagen!«, flüstert sie.
    Die Männer kommen näher. Ich bin darauf gefasst, dass sie im nächsten Augenblick stehenbleiben und ihre Waffen anlegen, wie ein Exekutionskommando. Doch stattdessen schlagen sie die Hacken zusammen und verbeugen sich leicht vor uns, woraufhin mein rasender Herzschlag sich ein wenig beruhigt. Louise greift nach meinem Arm.
    »Madame, Monsieur«, sagt einer der Wachposten, »Sie sollten vielleicht lieber ein wenig zur Seite treten …«
    Ich starre sie an, und jetzt begreife

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