Adieu, Sir Merivel
alles in tadelloser Ordnung auf dem Kai in Dieppe vorfinden, dort werde ich euch dann die pistoles übergeben.«
Die Wachposten untersuchen den Beutel. Noch einmal beratschlagen sie flüsternd miteinander, und ich glaube zu verstehen, dass sie Fleisch für sich selbst kaufen und dem Bären nichts geben wollen.
»Wenn dieses Tier nicht gefüttert wird«, sage ich, »wird es versuchen, euch zu fressen. Wollt ihr das riskieren?«
»O ja, das wird es«, bestätigt Louise mutig. »An seinem Speichel könnt ihr sehen, wie ausgehungert es ist. Es wird gute Lust haben, euch die Hände abzureißen.«
Als hätte er das verstanden, öffnet der Bär sein Maul und stößt ein gewaltiges Gebrüll aus. Die Wachposten weichen noch weiter zurück und blicken ihn ängstlich an. Sie umklammern ihre Musketen fester.
»Nun?«, frage ich. »Wie entscheidet ihr euch? Zehn pistoles oder gar nichts?«
Wieder beratschlagen sie. Beide sehen etwas blass aus.
»Wir werden es tun«, sagen sie beinahe gleichzeitig.
»Gut«, sage ich. »Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen.«
Ich gehe zu ihnen und schüttele beiden die Hand. Sie sind immer noch überzeugt, dass dieser bebänderte Engländer von allen guten Geistern verlassen ist, was in gewisser Hinsicht sicher zutrifft, und es wäre nicht das erste und wohl auch nicht das letzte Mal.
Im Ostteil des Jardin du Roi gibt es einen immergrünen Irrgarten, dessen buschige Wege zu einem bewaldeten Hügel hinaufführen, von dem aus man einen wunderschönen freien Blick über die Stadt hat.
Louise und ich steigen Hand in Hand zu diesem wahrhaft großartigen Platz hinauf, und nachdem wir Paris ausgiebig bewundert haben, wenden wir uns einander zu und umarmen uns. Dass ich diese Frau niemals mehr in meinen Armen halten soll, bricht mir beinahe das Herz, Tränen steigen mir in die Augen und fließen meine Wangen hinab.
Louise leckt sie zärtlich auf. Wir küssen uns erneut, und ich spüre, dass die Leidenschaft, die uns in ihrem Bett vereinte, nicht nachgelassen hat bei ihr. Und so gehen wir tiefer in das kleine Wäldchen, wo wir vom Weg aus nicht zu sehen sind, und ich ziehe meinen neuen Rock aus und lege mich auf den Waldboden, und dort werden wir an diesem kalten Winternachmittag erneut zu Liebenden.
Und als wir danach sehr still und, trotz kühler Luft und abnehmenden Tageslichts, ohne jede Neigung, uns zu rühren, beieinanderliegen, sagt Louise zu mir:
»Ich habe mich entschieden, Merivel. Im Sommer werde ich in die Schweiz fahren. Dort werde ich sehr lange bleiben. Vielleicht könntest du mich besuchen? Ich weiß, dass mein Vater dich gerne kennenlernen würde. Er war mit meiner Heirat nie einverstanden und weiß, wie unglücklich ich bin. Ich werde dafür sorgen, dass er dich in seinem Haus willkommen heißt.«
Ich streichele Louises Haar. Vor mir sehe ich die herrlichsten Bilder von Bergen, wilden Blumen, kobaltblauen Himmeln und einer stolzen Burg hoch oben zwischen Fichten und Tannen. Ich bitte Louise, mich zu benachrichtigen, sobald sie dort ist, denn dann will ich mich ein weiteres Mal den Straßen und dem Meer anvertrauen.
ZWEITER TEIL
Die große Gefangenschaft
11
Ich sah den Bären in seinem Käfig, an Deck des Schiffes sicher verstaut von französischen Matrosen, die mich fragten, was für ein Tier das sei.
»Es ist ein Bär«, sagte ich. »Er stammt aus Germaniens Wäldern.«
»Ist denn Bärenfleisch eine Delikatesse in England, Monsieur?«
»Nein, ich werde ihn nicht essen.«
»Aber was machen Sie dann mit ihm?«
Darauf wusste ich keine rechte Antwort. Ich war so sehr auf die Rettung des Tiers bedacht gewesen, dass meine Überlegungen, was dessen weiteres Schicksal betraf, nicht sehr weit gediehen waren. Vor Augen hatte ich nur ein sicheres und angenehmes Gehege mit einer Einfriedung im Park von Bidnold; dort würde der Bär gefüttert und umsorgt werden, ein herrlicher neuer Zeitvertreib für Margaret und mich, wenn wir ihn dort besuchten. Und wenn ich Gäste auf Bidnold empfing (unter ihnen auch den König), würden auch sie sich mit Vergnügen die Zeit mit der Betrachtung eines Tiers vertreiben, das sie noch nie gesehen hatten.
Doch dann hörte ich mich zu den französischen Matrosen sagen: »Ich will eine Menagerie einrichten, wie es in Versailles eine gibt. Ich hoffe, zu gegebener Zeit dort auch eine gefangene Giraffe zu halten.«
Während das Schiff an einem frostigen Morgen mit undurchdringlichem Nebel Kurs auf den Ärmelkanal nahm und nur der Schrei der
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