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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Heute Abend wirst du deine beste Livree anziehen, damit du den König bei Tisch bedienen kannst.«
    Will hob einen Zipfel seines räudigen Fells hoch, betrachtete die Mottenlöcher, die ihn entstellten, und schüttelte traurig den Kopf. »Sir«, sagte er, »ich habe geschworen, ihn erst auszuziehen, wenn Miss Margaret wieder gesund ist. Was würde denn mein Versprechen taugen, wenn ich es jetzt bräche?«
    Ich betrachtete ihn, wie er da, gebeugt und traurig, stand, fast so angegriffen von der Zeit wie das Dachsfell, und ich sah, dass der Tag gekommen war, an dem ich ihn von seinen Pflichten im Speisesaal entbinden musste, da er Teller und Gerichte nicht mehr würde sicher und aufrecht tragen können.
    Und ich begriff, nicht ohne ein gewisses Maß an Scham, dass sein Beharren auf dem Fell mich womöglich vor einer Katastrophe wegrutschender Austern und fallen gelassener Saucieren bewahrt hatte, wenn nicht gar vor einem ganz und gar peinlichen Dinner-Chaos. Und so sagte ich: »Also gut, Will. Ein Schwur ist ein Schwur, und du bist ein ehrenhafter Mann. Behalt dein Fell nur an. Aber –«
    »Ich weiß, Sir Robert, ich soll nicht bei Tisch erscheinen. Ich würde alles dafür geben, Seine Majestät wieder zu bedienen, doch ich werde nicht in Erscheinung treten.«
    Nach einem hastig zusammengestellten Mittagsmahl lud der König mich zu einem Rundgang durch den Park ein.
    Im hellen Sonnenlicht konnte ich sehr deutlich die Falten erkennen, die die Zeit in König Charles’ Gesicht gegraben hatte, und ich sah auch, dass seine Haut – seit jeher von einem sehr schönen Karamellton – mittlerweile bleich und voller Leberflecken war. Ich wollte gegen diese Zeichen des Alters protestieren: gegen den Missklang, den sie in meinem Kopf erzeugten, der doch in kindlicher Weise geglaubt hatte, der König sei alterslos und unsterblich.
    Zuerst führte ich ihn zu meiner Allee aus Hagebuchen. Er bewunderte sie und bekannte, er sei selbst entzückt von »Gärten im französischen Stil, in denen alles Geometrie und Ordnung« sei, worauf ich ihm erzählte (da ich von seinem beständigen Interesse an den Herzensangelegenheiten anderer Menschen wusste), dass ich mich in Paris in eine Frau »mit grenzenloser Wissbegier in Bezug auf Pflanzen« verliebt hätte.
    »Oh«, sagte der König, »wie delikat, Merivel. Ich hätte dich nicht für einen Mann gehalten, der sich durch Botanik verführen lässt.«
    »Ich auch nicht«, sagte ich, »doch es hat mich schon immer überrascht, wodurch ich mich in meinem Leben schon habe anrühren lassen. Trotz der großartigen Aufforderung Montaignes, die Menschen sollten ›sich selbst erkennen lernen‹, scheint es mir noch nicht gelungen zu sein, meine eigene Natur zu begreifen.«
    »Sehr wahrscheinlich. Doch der Grund könnte auch sein, dass es dich immer noch danach verlangt, dich zu amüsieren und überraschen zu lassen. Habe ich nicht Recht?«
    »Nun«, erwiderte ich, »es verlangt mich danach, Euch zu amüsieren und zu überraschen.«
    »Ha! Wie aufmerksam von dir. Und meistenteils hast du Erfolg damit. Doch diese Geliebte da in Paris, verstehst du sie zu unterhalten?«
    »Ich glaube doch, Sire. Aber ich bemühe mich, sie zu vergessen. Ihr Ehegatte ist ein Oberst der Schweizer Garde und hat gedroht, mich mit dem Schwert zu töten, sobald ich mich in seinem Hause zeige …«
    »Ach, wie kindisch! Mätressen sollten verheiratet sein, und Ehegatten sollten ihren Platz kennen – wie du ja hast lernen müssen, auf deine Kosten. Ob die Schweizer Garden der Ehre wohl zu viel Wert beimessen?«
    Im Geiste sah ich Oberst Jacques-Adolphe de Flamanville vor mir, wie er mich, verächtlich schnaubend, beim Billard niedermachte, und ich erwiderte, die Wahrung seiner Würde scheine ihm tatsächlich sehr wichtig zu sein und ich hätte ihm den Spitznamen »die Giraffe« gegeben. Doch um seinen Gardesoldaten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, berichtete ich dem König (der England in letzter Zeit nur ungern verließ und folglich Versailles seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hatte) auch vom stoischen Gleichmut der Schweizer Garden, die so regungslos im frostigen Mondlicht gestanden und so unendlich zart ihre Trommeln geschlagen hatten, dass die Töne beinahe aus der Erde selbst aufzusteigen schienen.
    »Das gefällt mir«, sagte er. »Wenn die Starken ihre Stärke zurückhalten und feinsinnig werden …«
    Wir wandelten weiter und kamen schon bald zu der neu errichteten Einfriedung, in der der Bär unablässig im Kreis

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