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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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lief.
    Der König blieb stehen, umfasste zwei Holzpfähle des Geheges und betrachtete den Bären höchst aufmerksam. Bunting begann zu bellen, und er nahm die Hündin hoch und wiegte sie in seinen Armen, bis sie ruhig war.
    »Hat dieses Geschöpf auch einen Namen?«, fragte er nach einer Weile.
    »Nein«, sagte ich. »Mir fällt kein angemessener ein.«
    Der König lächelte und beobachtete weiterhin schweigend den Bären, der sich trollte und unter einem Ast einen eherunbehaglichen Ruheplatz fand. Dann sagte er: »Ich glaube, wir sollten ihn Clarendon nennen, nach meinem ehemaligen Hofmeister. Ausgestoßen und einsam, wie er ist. Er wird wohl schon bald sterben.«
    Für einen Moment war ich schockiert. Ich wollte nichts davon hören, dass mein Bär »schon bald sterben« werde. Doch dann blickte ich zu der geplagten Kreatur und musste daran denken, wie der begüterte, aufgeblasene alte Earl und Chancellor Clarendon, der geglaubt hatte, sein Leben an der Seite des Königs verbringen, ihn führen und beraten zu können, am Ende seine eigene Nützlichkeit überlebt hatte .
    Clarendon, der so hoch aufgestiegen war und ein so gewaltiges Vermögen erworben hatte, wurde nach Frankreich ins Exil geschickt und kehrte nie wieder zurück, um das große Haus zu bewohnen, das er sich hatte bauen lassen. Lady Castlemaine und andere am Hofe lachten und freuten sich, dass er in Ungnade gefallen war, sein Wappen war entehrt, und er wurde in Abwesenheit des Verrats bezichtigt (ein Prozess fand nie statt).
    Der König, den Clarendons allgegenwärtige Aufdringlichkeit irgendwann in Zorn versetzt hatte, beteiligte sich anfangs an Hohn und Spott über einen Mann, der ihn sein Leben lang beraten hatte; doch in späteren Jahren, nach Clarendons Tod in Montpellier, verglich er ihn mit Shakespeares Falstaff und sich selbst mit Prince Hal. »Ich war grausam«, sagte er. »Clarendon starb an gebrochenem Herzen. Ich hätte ihn nicht so furchtbar strafen dürfen.«
    Und nun bedrückte mich plötzlich der Gedanke, dass mein Bär, für dessen Retter ich mich gehalten hatte, hier auf Bidnold einer Art traurigen Exils ausgesetzt war. Ich erkannte, dass ich dem Geschöpf nicht einen einzigen Augenblick des Glücks zu schenken vermocht hatte. Ich hatte ihn vor dem schnellen Tod gerettet; das war alles.
    »War es falsch, dass ich dem Bären das Leben rettete?«, fragte ich.
    Der König drückte die Hündin an sich, vielleicht ebenso sehr zu ihrem Schutz wie zu seinem eigenen Trost, und fragte zurück: »Warum wolltest du ihn denn retten, Merivel?«
    »Ich glaube, ich dachte wohl, es könnte vielleicht bedeutsam sein …«
    »Wofür?«
    »Dafür, dass ich meine eigene Natur besser verstehe.«
    Der König drehte sich um und blickte mich an. Es war ein Blick unverhohlener Verachtung, ein Blick, den ich aus lang vergangenen Zeiten kannte und der mich heftig schmerzte, denn ich las in ihm immer wieder aufs Neue meine eigene ewige Unzulänglichkeit.
    »Wie ich sehe, hast du die Gewohnheit, alle Dinge immer nur auf dich zu beziehen, nicht verloren«, sagte er abfällig.
    Wir kehrten ins Haus zurück und stiegen zu Margarets Zimmer hinauf. Sie schlief.
    Wir standen da und beobachteten sie. Ihr Schlaf wirkte ruhig, und Tabitha berichtete uns, sie habe etwas von der Milch-Poshotte zu sich genommen, bevor sie wieder ihre Augen schloss. Ihr bandagierter dünner Arm lag wie in einer Geste der Hingabe still auf ihrem Kissen. Beide rührte uns dieser hingestreckte Arm; danach zog sich der König, nun in düsterer Stimmung, erneut zur Ruhe zurück, und ich stieg in die Küche hinab, wo Cattlebury gerade zwei Stockenten die Köpfe abhackte.
    »Enten habe ich nicht bestellt«, sagte ich.
    »Nein, Sir Robert«, erwiderte dreist der Koch, »doch sie spazierten einfach in meine Speisekammer, und ich sage zu ihnen: ›Ihr seid erledigt, Burschen!‹ Und sie quaken zurück: ›Wird der König uns essen?‹ Und ich, ein Mann von Geist – wie Ihr, Sir Robert, so hoffe ich doch, in all den Jahren bemerkt haben werdet –, ich sage zu ihnen: ›Der König isst alles in diesem Land, wieso solltet ihr da verschont bleiben?‹«
    »Was meinst du mit ›der König isst alles in diesem Land‹?«
    »Nur, was ich sage, Sir. Wenn eine Hungersnot kommt,wird der König da hungern? Nein. Er wird den Menschen das Wenige nehmen, das sie haben, um es in sein eigenes Maul zu stopfen.«
    »Schweig still, Cattlebury!«, rief ich. »Ich will unter diesem Dach kein aufrührerisches Gerede

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