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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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hören.«
    Cattlebury ließ die Enten liegen und kam, das Fleischerbeil schwingend, auf mich zu. Als ich zurückwich, sagte er: »Er wird auch Euer Ruin sein, Sir Robert. Mr Pearce hat es schon immer gesagt: Der König wird Euer Ruin sein.«
    Ich ging hinaus in den Garten und sammelte einige Nieswurzblätter. Ich hatte erwartet, Frost und Schnee hätten die Pflanzen so beschädigt, dass sie jetzt braun und verdorrt seien, doch das waren sie nicht.
    Ich kochte einen Sud aus Nieswurz und Honig – ein weiteres Rezept von Pearce zur sanften Behandlung von Geisteskrankheiten, das in Whittlesea mit einigem Erfolg angewandt worden war. Ich brachte ihn hinauf in Margarets Zimmer, wo Tabitha wieder Krankenwache hielt. Ich entschuldigte mich bei dem Mädchen, das ich vorher angeschrien hatte, und sagte, sie solle gehen und sich ausruhen.
    Margaret hatte sich in ihrem Schlaf nicht ein bisschen bewegt. Als wäre sie, nachdem der König an ihrem Bett erschienen war, in eine Art sanften Vergessens gesunken, ähnlich dem, das ihre Mutter einst befallen hatte, und ich betete, sie möge aus dem Vergessen nicht in den Tod hinübergleiten.
    Ich versuchte, mich in Gedanken an jenen Moment in dem Drama von King Lear zu klammern, wo der arme wahnsinnige Monarch durch den Schlaf von seiner Verwirrung geheilt wird. Als er erwacht, steht seine Tochter Cordelia an seinem Bett, und nach einer Weile erkennt er sie, die er grausam lange nicht gesehen hat, und ruft: »Lacht nicht über mich, denn so gewiss ich lebe, die Dame halt ich für mein Kind Cordelia.« Und sie antwortet: »Das bin ich auch! Ich bin’s!« Und bei dieser letzten Wiederholung der Worte »Ichbin’s« – wenn sie denn vom Schauspieler schön deklamiert werden – kann ich meine Tränen nie zurückhalten, denn am allermeisten ergreift es mich, wenn ich sehe, wie etwas, das verloren war, zurückgegeben wird.
    Ich weckte Margaret sanft, und sie öffnete die Augen und schaute mich an. Ich half ihr, sich ein wenig aufzurichten.
    »Margaret«, sagte ich. »Der König ist nach Bidnold gekommen. Er hat seine Hände auf deinen Kopf gelegt und Gott gebeten, er möge dich gesund machen. Also wirst du jetzt gesund.«
    Sie sagte nichts, sondern schaute mich nur mit jenem Mitgefühl an, das Kranke häufig denen entgegenbringen, die sie pflegen. Ich streichelte ihre Hand.
    »Ich habe dir einen Sud zubereitet, der deine Sinne beruhigt. Willst du versuchen, ein wenig davon zu trinken?«
    Ich hielt den Becher an ihre Lippen, und sie nahm wie ein Kind einige kleine Schlucke. Ihre Haut war blass, jedoch vom Schlaf leicht rosig überhaucht, und ihre Hand war warm und trocken.
    Ich erzählte ihr, dass der König seine Ankunft nicht angekündigt hatte, sondern wie Zeus in seinem Wagen beim Tor vorgefahren war, und dass Will holpernd und stolpernd derart hastig zur Haustür geeilt war, dass sein Herz beinahe stehen geblieben wäre, noch ehe er vor dem König erscheinen konnte.
    »Doch er erschien tatsächlich, Margaret«, sagte ich, »und zu Wills großer Freude richtete Seine Majestät, als er sich zu verbeugen suchte, ihn auf und sagte: ›Gates! Unser hervorragender Mann! Wie freut es Uns, dich zu sehen!‹ Und Wills Herz blieb vor Erstaunen beinahe ein zweites Mal stehen. Stell dir doch nur diese Szene vor …«
    Aufmerksam prüfte ich ihr Gesicht, um zu sehen, ob sie meinen kleinen Bericht verstanden hatte. Einen Moment lang verzog sie keine Miene, doch dann hob der Anflug eines Lächelns ihre Mundwinkel.
    »Ich bin froh«, sagte sie.
    Mit meiner Hilfe trank sie den halben Becher Nieswurztee, sank dann wieder auf ihr Kissen und wollte nichts mehr davon. Erneut schloss sie die Augen. Ich blieb regungslos sitzen und fragte mich, ob ich auch nur im Entferntesten daran glaubte, dass ein König seine Untertanen von ernsthaften Krankheiten heilen kann, und ich wusste, dass ich es, in Wahrheit, nicht tat.
    Doch die Vorstellung, dass der Besuch des Königs in meinem Haus gänzlich ohne wohltuende Folgen war, gefiel mir auch nicht. Wenn Pearce hier gewesen wäre, hätte er sicherlich gesagt: »Einmal mehr, Merivel, betrittst du das Reich der Täuschungen. Ärzte mögen eine Heilung unterstützen können, aber Könige vermögen das nicht. Nur Gott heilt.« Worauf ich geantwortet hätte: »Das weiß ich, mein Freund. Ich glaube sogar, dass auch der König es weiß. Und dennoch übersiehst du vielleicht etwas Entscheidendes: die Macht des Geistes, solche Täuschungen zu nähren, die ihn erhalten.«
    In

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