Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
einem Nichts geschwunden, und mein Kind in diesem Zustand zu sehen, weckt einen solchen Zorn in meinem Herzen, dass ich mich kaum enthalten kann, laut zu schreien.
    Ich verbinde den Arm, verfluche innerlich meine unzulänglichen medizinischen Kenntnisse und schicke Tabitha mit dem Auftrag zu Cattlebury, er solle eine Milch-Poshotte zubereiten.
    »Wird er denn noch wissen, was das ist?«, fragt Tabitha. »Mr. Cattlebury ist in letzter Zeit recht vergesslich, Sir.«
    »Milch!«, brülle ich. »Milch, Weißwein, mehrere Eigelb, Zucker, Zimt und Muskatnuss. So lange schlagen, bis es dick wird. Los, mach dich auf den Weg!«
    Tabitha huscht fort wie ein kleiner Schatten, und ich schelte mich dafür, dass ich sie angebrüllt habe, sie ist so ein liebes Mädchen, hat ihr Leben für Margaret aufs Spiel gesetzt und nächtelang nicht geschlafen, um sie zu pflegen.
    Es ist sehr still in Margarets Zimmer, und diese Stille gefällt mir nicht, denn sie erinnert mich an die Stille des Grabes. Um diesen Gedanken zu vertreiben, beginne ich in recht ungeordneter Weise loszuplaudern, erzähle ihr erneut von dem Kurzwarenladen meiner Eltern und all den hübschen kleinen Dingen darin. »Es gab Federn in allen Größen«, sage ich, »und Kärtchen mit Spitze, bretonischer Spitze, aber auch Spitze mit eingewobenen Gold- und Silberfäden. Dann gab es fein gebürsteten Filz und kleine Fellstücke und Satinbänder, so wie jene, die in die Schultersäume meiner Röcke eingenäht sind, und Knöpfe jeder Art, auch solche aus Knochen … doch dann kam das Feuer, und all diese Dinge verbrannten, selbst das Silber und das Gold …«
    Margaret sieht mich ernst an. Die Pupillen ihrer Augen sind sehr groß. Ich weiß nicht, ob sie mich hört oder versteht, was ich sage, oder ob sie schon auf dem einsamen Meer des Vergessens davongleitet. Und es überwältigt mich der ganze Jammer darüber, dass meine Tochter sich in dieser womöglich zunehmenden Dämmerung alleingelassen sieht, dass alles und alle, die sie geliebt hat, für immer verloren sind, ich beginne zu weinen. Und als ich erst einmal begonnen habe, überlasse ich mich vollständig dem Schluchzen und versinke lange in einem Meer von Tränen, und ich weiß nicht, wie ich da herauskommen soll. Ich scheine zu ahnen, dass in diesem stillen Zimmer meine Welt ihr Ende findet. Sie findet ihr Ende.
    Mir tut die Brust vom Schluchzen weh. Und ich denke bei mir, wie unbedeutend doch dieser Schmerz ist, verglichen mit dem gewaltsamen Tod meiner Seele, der folgen wird, wenn Margaret nicht mehr ist. Und ich sage laut: »Ich weiß nicht, wie ich das ertragen soll!«
    Hilflos wiederhole ich es viele Male, den Kopf in Margarets Kissen vergraben, die Arme um ihren zerbrechlichen Körper geschlungen. »Ich weiß nicht, wie ich das ertragen soll!«
    Und da höre ich in meiner feuchten Dunkelheit eine Stimme, die antwortet. Die Stimme ist sehr leise, kaum zu hören. Sie sagt: »Du wirst es nicht ertragen müssen, Merivel.«
    Ich versuche, mein Schluchzen zu unterdrücken, und hebe den Kopf vom Kissen.
    Das Zimmer ist dunkel, da die Vorhänge gegen den hellen Frühlingstag zugezogen sind, nur eine einsame Kerze brennt. Ich wische mir die Augen mit einem Zipfel von Margarets Bettlaken und blicke zur Tür und sehe eine hochgewachsene Gestalt dort stehen, ganz in Schwarz gekleidet und um das Gesicht ein weißes Tuch gebunden. Und ich denke, dass das der Tod ist, der ungehört das Zimmer betreten hat, und mein ganzer Körper wird zu Eis.
    Der Tod bewegt sich sehr langsam, er geht auf das Bett zu. Und ich spüre seinen Hauch, als er sich mir nähert, doch seltsamerweise riecht der Tod nicht schlecht und abstoßend, sondern duftet nach herrlichstem und edelstem Parfüm. Ich atme dieses Parfüm ein und weiß, dass es mir vertraut ist, kann mich aber nicht besinnen, woher.
    Erneut wische ich mir die Augen, um klarer zu sehen. Der Tod steht regungslos am Bett meines Kindes. Er trägt schwarze Handschuhe. Über der weißen Musselinbinde mustern mich seine Augen mit grimmiger Eindringlichkeit.
    »Merivel«, sagt er. »Ich werde sie berühren, so wie ich Menschen mit Pocken berührt habe. Wenn einen der König berührt, hilft sehr oft Gott.«
    Geschwächt vom Weinen erhebe ich mich mühsam. Ich versuche, meine so oft praktizierte Verbeugung zu machen, doch ich muss die Hand ausstrecken, um nicht auf das Bett zu fallen.
    »Majestät …«, stammele ich. »Ich hielt Euch für den Tod.«
    »Ach?«, sagt der König. »Wie

Weitere Kostenlose Bücher