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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Anbetracht von Cattleburys Unzuverlässigkeit und Wills Unfähigkeit, ihn zu überwachen, war das Nachtmahl, das im Speisesaal aufgetragen wurde, alles andere als schlecht.
    Die Kerzen waren angezündet. Alles glänzte hübsch und sauber. Der König saß am Tisch, hatte Bunting auf dem Schoß und fütterte sie mit Stückchen von der gebratenen Ente und der etwas zu lang gegarten Rinderlende. Cattleburys Wildpastete war mit einer Teigkrone geschmückt, die mit exzellenter Marmelade gefüllt und mit Korinthen bestückt war, die aussahen wie Juwelen – ein höflicher kleiner Akt der Reue, wie ich inbrünstig hoffte, nach seinem Ausbruch antimonarchistischer Gefühle.
    Eine ganze Weile sprach der König zu meiner Beunruhigung mit seiner Hündin und nicht mit mir, aber ich wusste, dass ich ihn besser nicht unterbrach. Es schien, als gehe etwas Wichtiges in seinem Kopf herum, und ich irrte michnicht. Endlich – die Pastete war schon angeschnitten – hob er den Blick und sagte zu mir: »Ich habe dir noch nicht erzählt, wie müde ich bin, Merivel. Nicht müde von meiner Reise nach Norfolk, die ich, nachdem wir den sehr von Armut geprägten inneren Bereich Londons verlassen hatten, sehr genossen habe, sondern müde und überdrüssig meiner staatlichen Geschäfte.«
    »Das kann ich mir vorstellen, Sire«, sagte ich.
    »Die bloße Vorstellung all der zu erledigenden Aufgaben – nicht gezahlte Löhne an die Matrosen, Geld, das wir für tausend andere Dinge schulden, Petitionen von allerlei Gesellschaften oder Zünften – macht mich krank. Es gibt Tage, an denen ich nach meinem kleinen morgendlichen Spaziergang im Park zu nichts anderem fähig bin, als mich in Fubbsys Gemächer zu begeben, mich vor den Kamin zu legen und mir den Kopf von ihr kraulen zu lassen, so schrecklich quält er mich.«
    »Krankheiten des Kopfes sind schwer zu ertragen. Das weiß ich wohl.«
    »Ich wünschte beinahe – und solch einen Gedanken hatte ich noch nie in meinem Leben –, ein anderer wäre König.«
    »Das würde nicht gehen, Sire. Ich wüsste keinen, der die Statur dafür hätte.«
    Der König lächelte und nahm einen Schluck Wein.
    »Es gibt so wenige, so überaus wenige am Hof, die noch zu meiner Unterhaltung beitragen, Merivel. Überall nur Ernst und Vorwürfe. Man will sogar, dass ich Krieg gegen Frankreich führe! Im Verbund mit den Holländern und ihrem Konkurrenzwahn um die Handelsmonopole. Aber warum sollte ich das, wenn das einzige Geld, das ich mein Eigen nennen kann, als Darlehen von König Louis kommt?«
    »Krieg ist eine schreckliche Geißel …«
    »Wohl wahr. Ich werde nicht in den Krieg ziehen – nicht gegen Frankreich und auch sonst gegen niemanden. Wonach ich mich sehne, ist Frieden.«
    In diesem Moment begann Bunting, die sich vernachlässigt fühlte, um ein Stückchen Pastete zu betteln. Während sie damit versorgt wurde, sagte ich: »Majestät, Ihr wisst, dass Ihr herzlich eingeladen seid, so lange auf Bidnold zu bleiben, wie Ihr mögt …«
    Der König streichelte die Hündin und sah mich an. »Darauf wollte ich noch kommen«, sagte er. »Dieser Ort hier wirkt stets sehr beruhigend auf mich. Eigentlich hatte ich morgen nach London zurückkehren wollen, aber ich habe das Gefühl, dass ich es einfach nicht kann. Ich brauche Schlaf und frische Luft. Ich werde auf Bidnold bleiben.«
    Ich verbeugte mich und sagte, ich fühlte mich geehrt, was ich auch war. Doch kaum wurde mir bewusst, was die Äußerung des Königs eigentlich bedeutete, bereitete sie mir auch schon einiges Unbehagen. Denn wenn ich an Wills Altersschwäche, an Margarets tödliche Krankheit und an die fehlenden Vorräte nach dem großen Schnee dachte, gar nicht zu reden von Cattleburys aufrührerischen Bemerkungen, dann schien mir Bidnold nicht in der Lage, einen längeren Aufenthalt des Königs durchzustehen.
    Und ich selbst war ebenfalls müde und erschöpft. Es würde mir schwerfallen, dem Monarchen meine ganze Aufmerksamkeit zu schenken, wenn all meine Gedanken doch Margaret galten. Und in regelmäßigen Abständen meldete sich auch mein schlechtes Gewissen, da ich meine Patienten derart vernachlässigt hatte. In letzter Zeit hatte ich mich damit entschuldigt, dass ich mich besser von ihnen fernhalten sollte, da ich möglicherweise ein Überträger von Typhus war. Doch in Wahrheit hatte ich während meines Aufenthalts in Frankreich und in dem langen, schrecklichen kalten Winter praktisch nie an sie gedacht, in der unbekümmerten Annahme, der alte Dr.

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