Adieu, Sir Merivel
tupfte, um das Blut aufzuwischen. Dann tastete ich mit dem Finger und spürte, wie sich die Geschwulst an einer Seite vom Fleisch löste. Ich schnitt noch ein Stück darunter entlang und lockerte den Knubbel weiter. Blut lief mir über die Hand.
Noch zwei Schnitte, und das Ding war frei. Mit meinem Spatel holte ich es heraus und legte es in ein Glasgefäß. Ich drückte einen Musselinbausch fest auf die Wunde, starrte die Krebsgeschwulst an und dachte bei mir, wie seltsam und schrecklich es doch sei, dass der Körper heimlich und im Verborgenen Metastasen produziert, die ihn ins Grab bringen können.
Violet war mittlerweile ruhig, ihre Atmung flach. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, ich könnte die Wunde jetzt zunähen, und das Schneiden hätte ein Ende. Doch ich wusste, ich musste noch weiter gehen. In der Achselhöhle lagen zwei Metastasen der Hauptgeschwulst, und die durften nicht in Violets Körper bleiben.
Ich griff erneut nach dem Skalpell. Ich hatte versprochen, dass ich für die ganze Schneiderei nicht mehr als fünf Minuten brauchen würde, aber meine Kämpfe mit den schwer zu fassenden Metastasen dauerten mehr als eine halbe Stunde, denn sie schienen im Blut zu versinken, und ich musste zwischen dem Schneiden immer wieder Pausen einlegen, während Mrs. McKinley tupfte und tupfte.
Als ich endlich so weit war, dass ich die Haut zusammennähen konnte, war Violet sehr blass und in einem tiefen Schockzustand. Sie hatte einen heftigen Schluckauf, und Mrs. McKinley und ich fürchteten schon, sie bekäme einen Krampfanfall oder ihr Herz bliebe stehen.
Gemeinsam verbanden wir die Wunden, dann wuschen wir uns Hände und Arme mit schwarzer Seife in heißem Wasser, und ich rief nach Agatha, sie möge den Bettwärmer und die Decken bringen. Wir banden Violets Handgelenke los und legten ihren rechten Arm neben ihren Körper, den linken jedoch auf das Kissen, weg von der Wunde.
Mrs. McKinley berührte Violets Stirn mit ihren starken Händen und flüsterte mir zu: »Gütiger Himmel, Sir, sie ist sehr kalt …«
Agatha kam herein und sah all die blutigen Lappen und ihre Herrin bleich wie ein Gespenst und die Krebsgeschwüre in dem Gefäß und wäre fast ohnmächtig geworden. Ich nahm ihr den Bettwärmer aus der Hand und wickelte ihn in eine Decke und befahl Agatha, noch mehr heißes Wasser zu holen und zwei Schalen mit Schokolade für mich und Mrs. McKinley.
Das Leintuch und das Laken unter Violet waren hellrot und feucht von Blut, und Mrs. McKinley und ich wussten, dass wir sie wegschaffen mussten. Aber das war nicht einfach, denn es würde äußerst schmerzhaft für Violet sein, wenn wir sie bewegten. Ich schob meinen Arm unter ihre rechte Schulter und den Nacken und hob sie etwas hoch, und Mrs. McKinley zog das Leintuch und das blutige Laken weg, und dann legte ich Violet wieder hin und hob nun ihren Rücken und Hintern an, so dass das Laken ganz freikam. Dann breiteten wir saubere Leintücher aus und legten weiche Kissen um die Wunde und versuchten, Violet warm zu bekommen, indem wir den Bettwärmer an ihre Füße stellten und die Wolldecken über ihr ausbreiteten.
In ihren Mund tröpfelte Mrs. McKinley noch mehr Laudanum. Der Schluckauf dauerte weitere zehn Minuten. Dann hörte er auf, und Violet lag still und ruhig vor uns. Ich nahm ihr Handgelenk hoch und tastete nach ihrem Puls und fand ihn, er war schwach, aber vorhanden, und so ging der Morgen langsam vorüber.
Mrs. McKinley nahm ihre weiße Haube ab und wischte sich die Stirn damit. »Lieber Himmel, Sir Rabbit«, sagte sie, »die Schokolade wird jetzt aber wunderbar sein.«
Wir saßen den ganzen Tag lang in Violets Zimmer. Erst beschien die Sonne uns, dann versteckte sie sich hinter Wolken, und der Raum verdunkelte sich, als würde er Regen ankündigen.
Im Geiste wanderte ich immer wieder nach Bidnold und fragte mich, was der König und Margaret dort wohl machten, doch ich versuchte, diese hässlichen Gedanken wegzuschieben. Ich wusste, dass ich bis zum nächsten Morgen bei Violet bleiben musste.
Ich betrachtete ihr Gesicht, das ich einst beinahe liebte. Sie schnarchte in ihrem Laudanumschlaf. Leise sagte ich zu Mrs. McKinley: »Es ist nicht so sauber gelungen, wie ich gehofft hatte.«
»Nun ja«, erwiderte sie, »ich habe aber auch kaum einen Schlimmeren gesehen, meinen eigenen eingeschlossen.«
»Du hattest auch einen Tumor in der Brust?«
»Ja, aber der wurde mir herausgeschnitten, lange bevor ich Euch kannte. Und seht mich nur an, Sir
Weitere Kostenlose Bücher