Adiós Hemingway
sicher?«
»Ganz sicher.«
»Nein, das hab ich nicht gesehen. Muss ich unbedingt nachholen. Die Unterwäsche einer Frau zu betrachten, ist fast so, als würde man sie nackt vor sich sehen. Ich muss mir den Slip anschauen. Welche Farbe hat er?«
»Schwarz. Mit Spitzen. Hemingway hat damit seinen 22er-Revolver eingewickelt.«
»Diesen Slip muss ich sehen«, wiederholte Mario, wie ein echter Hemingwayaner. Er bedankte sich bei Juan Tenorio fürs Mitnehmen und bat, an der nächsten Ecke abgesetzt zu werden. Gerne hätte er ihn noch gefragt, wer von Tenorios beiden Elternteilen die Todsünde begangen hatte, ihm diesen poetischen, wohlklingenden Namen aufzudrücken und ihn für den Rest seines Lebens damit rumlaufen zu lassen. Doch er verkniff sich die Frage.
El Conde machte es Spaß, an Nachmittagen wie diesem nach einem kräftigen Regenguss durch Havanna zu laufen. Die drückende Sommerhitze verabschiedete sich dann bis zum nächsten Morgen, und die Luft war von Feuchtigkeit geschwängert, was eine belebende Wirkung auf ihn ausübte, genauso wie Rum, und ihm die Kraft gab, sich dem größten Kummer seines Lebens zu stellen.
Der dünne Carlos saß vor der Haustür. Obwohl er schon seit langer, langer Zeit nicht mehr dünn war, sondern als fette Fleischmasse im Rollstuhl hing, nannte Mario ihn nach wie vor bei seinem Spitznamen. Den hatte er ihm in der längst vergangenen Schulzeit verpasst, als Carlos noch spindeldürr gewesen war und niemand geahnt hatte, dass er einmal als Invalider aus einem fremden, fernen Krieg nach Hause kommen würde. Viele Jahre schon verband die beiden eine reine, wahre Freundschaft, sodass sie mehr als nur Freunde waren. Jeden Abend kam Mario bei Carlos vorbei, und dann hörten sie gemeinsam die Musik, die sie seit zwanzig Jahren hörten, sprachen über das, worüber sie immer sprachen, tranken, was zu trinken da war, und verschlangen gierig, wie ausgehungert, das Essen, das Carlos’ Mutter Josefina auf den Tisch zauberte.
»Hast du den Regen verschlafen, Kleiner?«, rief der Dünne seinem Freund entgegen.
»Ich hab noch was ganz anderes verschlafen! Ein Spitzenhöschen!«
Mario erzählte die Geschichte vom schwarzen Slip, der mit Spitzen und feuchten Erinnerungen an die Haut von Ava Gardner besetzt war, dem Slip in Hemingways Haus, den er aber nicht gesehen hatte und der ihm nun nicht aus dem Kopf ging.
»Du lässt nach, Conde«, stellte Carlos fest. »Sich so was entgehen zu lassen …«
»Ich bin eben kein Bulle mehr, Alter«, verteidigte sich El Conde.
»Red keinen Scheiß, Kleiner! Um ein Spitzenhöschen von Ava Gardner zu finden, muss man doch kein Bulle sein …«
»Aber es würde helfen, oder?«
»Ja, klar! Immerhin bist du jetzt so was Ähnliches wie ’n Privatbulle. Klingt komisch, was?«
»Saukomisch, Bär.« Mario grübelte über seine neue Situation nach, an die er sich erst noch gewöhnen musste. »Dann bin ich jetzt also ein beschissener Privatbulle. Wer hätte das gedacht …«
»Und was hast du sonst noch nicht gefunden, Marlowe?«
»’ne ganze Menge, Terry. Ich hab weder herausgefunden, wer den umgebracht hat, den man umgebracht hat, noch, wer zum Teufel dieser Tote ist. Aber was anderes hab ich rausgefunden. Und das ist endgültig und macht traurig und einsam. Ich hab rausgefunden, wen ich gerne als Mörder überführen würde.«
»Das weiß doch ganz Havanna, Conde. Traurig daran ist nur, dass du ihn früher so verehrt hast.«
»Ich hab den Schriftsteller verehrt, nicht den Mann.«
»Erzähl doch keine Märchen! Du hast auch den Mann verehrt. Hast immer gesagt, er wär ’n toller Kerl! Weißt du noch, wie du uns alle auf die Finca geschleppt hast?«
»Ich habs wirklich geglaubt. Obwohl … Da gibts doch einiges, was für ihn spricht. Er hasste Polizisten, und er mochte Hunde.«
»Katzen mochte er lieber.«
»Im Ernst? Das hat noch gefehlt.«
»Sag mal, Kleiner, hast du was von Tamara gehört?«
El Conde sah auf die Straße. Vor zwei Monaten war Tamara nach Mailand geflogen, um ihre Zwillingsschwester zu besuchen, und in letzter Zeit ließ sie immer seltener von sich hören. Mario hatte es vermieden, eine ernste Beziehung mit dieser Frau einzugehen, die ihm mit fünfundvierzig Jahren noch genauso gut gefiel wie mit achtzehn. Dennoch machte ihn ihre Abwesenheit zu einer Art Strohwitwer, zwang ihn zu einem unangenehm keuschen Leben. Und bei dem bloßen Gedanken daran, dass Tamara nicht nach Kuba zurückkehren könnte, bekam er Magenschmerzen,
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