Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
Vom Netzwerk:
Herzschmerz und Schmerzen an noch ganz anderen Stellen.
    »Hör mir bloß damit auf«, murmelte er bedrückt.
    »Sie kommt bestimmt zurück, Conde.«
    »Wenn du es sagst …«
    »Du bist ja völlig fertig, Kleiner.«
    »Halb tot bin ich.«
    Carlos schüttelte den Kopf. Er bedauerte, dass er überhaupt davon angefangen hatte, und wechselte das Thema. »Übrigens, ich hab heute deine Hemingway-Geschichten gelesen, Conde. Sind gar nicht so übel …«
    »Hast du das Zeug etwa aufbewahrt? Du hast doch gesagt, du würdest sie in den Müll werfen.«
    »Hab ich aber nicht. Und zurückgeben tu ich sie dir auch nicht.«
    »Ist auch besser so. Wenn ich die Zettel in die Finger krieg, zerreiß ich sie. Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass Hemingway ein Scheißtyp war. Nicht mal Freunde hatte er.«
    »Das ist schlimm.«
    »Sehr schlimm, Dünner. So schlimm wie mein Hunger. Darf man fragen, wo die Magierin des Topfes steckt?«
    »Sie wollte Olivenöl für den Salat besorgen, eiskalt gepresst …«
    »Und was sonst noch? Los, spucks aus«, bat Mario.
    »Nun ja, heute siehts ziemlich düster aus, hat sie gesagt. Ich glaube, sie will einen Gemüseeintopf kochen, mit Schweinefleisch und Schinken drin, dazu Reis, gebratene Malanga, einen Avocado-Kresse-Tomatensalat, und zum Nachtisch Frischkäse mit Guajavenmarmelade … Ach ja, und die Maispasteten von gestern.«
    »Wie viele haben wir denn übrig gelassen?«
    »Zehn, glaub ich. Vierzig warens insgesamt, oder?«
    »Zehn? Wir haben keine Kondition mehr, Alter. Früher haben wir immer alle aufgegessen, stimmts? Blöd ist nur, dass ich keinen Peso für Rum habe, dabei könnte ich ein Gläschen vertragen …«
    Carlos lachte. Mario sah ihn gerne lachen. Es gehörte zu den wenigen Dingen im Leben, die ihn aufheitern konnten. Die Welt ging den Bach runter, und die Leute sprangen ans andere Ufer. Sein eigenes Land ging ebenfalls den Bach runter, es wurde ihm immer fremder, er kannte es kaum noch wieder. Trotz all des Kummers, trotz all der Verluste konnte der Dünne immer noch lachen, und er konnte sogar versichern: »Aber du und ich, wir sind nicht wie Hemingway, wir haben Freunde, gute Freunde … Geh in mein Zimmer, da steht ’ne Flasche, direkt neben dem Recorder. Weißt du, wer sie mitgebracht hat? Der rote Candito! Er hat ja mit dem Saufen aufgehört, und da hat er mir den Rum geschenkt, den er in der Bodega gekriegt hat. Einen Liter Santa Cruz, der …«
    Er beendete den Satz nicht, denn er sah, dass sein Freund ihm nicht mehr zuhörte. Wie ein Verdurstender rannte El Conde ins Haus und kam kurz darauf zurück, die Flasche in der einen und zwei Gläser in der anderen Hand, zwischen den Zähnen einen Kanten Brot.
    »Weißt du, was ich gerade gesehen habe?«, fragte er, ohne den Kanten fallen zu lassen.
    »Nein, was denn?«, erkundigte sich der Dünne und nahm Mario ein Glas ab.
    »Einen Schlüpfer von Jose, auf der Fensterbank im Badezimmer. Und den Slip von Ava Gardner hab ich übersehen!«
     
    Er sah die Flasche Chianti an, wie man einen Feind ansieht. Es kam kein Tropfen Wein mehr heraus, und das Glas war ebenfalls leer. Langsam stellte er Glas und Flasche auf den Boden und lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück. Er war versucht, auf die Uhr zu schauen, doch er beherrschte sich, streifte sie stattdessen vom Handgelenk und ließ sie auf den philippinischen Flauschteppich fallen, zwischen Glas und Flasche. In dieser Nacht würde es keine Disziplin und keine Grenzen geben. Er würde einiges von dem tun, was er gerne tat. Zuerst widmete er sich dem sadomasochistischen Vergnügen, sich mit dem Fingernagel die Hautschuppen von der Nase zu kratzen, was Miss Mary immer so entsetzte. Das ist nur ein gutartiger Krebs, pflegte er sie zu beruhigen. Seit der Zeit, in der er die Expeditionen der Pilar auf der Suche nach Nazi-U-Booten geleitet und sich zu lange der tropischen Sonne ausgesetzt hatte, verunzierte ein schwarzbrauner Fleck seine Nase.
    Was seine Frau jedoch in Wirklichkeit entsetzte – und er wusste das –, war, dass er diese Säuberungsaktion in aller Öffentlichkeit vornahm, manchmal sogar bei Tisch. Miss Mary hatte viel Mühe darauf verwendet, ihm gute Manieren beizubringen, ihn zu erziehen. Sie sorgte dafür, dass er die Wäsche wechselte, täglich badete und wenigstens dann eine Unterhose anzog, wenn er das Haus verließ. Sie achtete darauf, dass er sich nicht vor anderen Leuten kämmte und das schaurige Schauspiel herabrieselnder Schuppen bot, sie versuchte ihm

Weitere Kostenlose Bücher