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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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er auch Quittungen und Scheckformulare aufbewahrte, nahm er den 22er-Revolver, der ihn immer auf seiner Runde um die Finca begleitete. Die Waffe war in ein schwarzes Spitzenhöschen gewickelt, das Ava Gardner bei ihm vergessen hatte. Höschen und Revolver erinnerten ihn an bessere Zeiten, in denen sein Urinstrahl kraftvoll und kristallklar herausgeschossen war. Er hob die Taschenlampe mit den drei Batterien vom Boden auf und vergewisserte sich, dass sie funktionierte. Als er das Zimmer schon verlassen wollte, ließ ihn eine plötzliche Vorahnung innehalten. Er trat zum Waffenschrank und holte die Thompson heraus, eine Maschinenpistole, die er seit 1935 auf der Haifischjagd benutzte. Vor drei Tagen hatte er sie gereinigt und dann wie so oft vergessen, sie an ihren Platz im zweiten Stock des Turms zurückzubringen. Das gleiche Modell hatte auch Harry Morgan in Haben und Nichthaben. Und Eddy, der Freund und Koch von Thomas Hudson in Inseln im Strom. Er streichelte den kurzen Kolben, spürte die angenehme Kühle des Laufs und legte ein volles Magazin ein, so als zöge er in den Krieg.
    Black Dog, der im Salon auf ihn wartete, empfing ihn mit freudigem, zur Eile drängendem Gebell. Seine größte Freude war es, neben seinem Herrn auf Patrouille zu gehen, wovon die anderen Hunde der Finca und natürlich alle Katzen ausgeschlossen waren.
    »Bist ein braver Hund«, sagte er zu dem Tier, »ein großer, braver Hund.«
    Er trat durch die Seitentür hinaus auf die Terrasse mit dem Brunnen aus portugiesischen Kacheln, den der Vorbesitzer hatte bauen lassen. Auf dem Weg zum Swimmingpool genoss er das Gefühl, sich bewaffnet und beschützt zu wissen. Er hatte die Thompson schon lange nicht mehr benutzt, vielleicht seit den fernen Tagen, als er mit der Filmcrew von Der alte Mann und das Meer inden Golf hinausgefahren war, um einen riesigen Schwertfisch aufzuspüren. Warum er sich entschlossen hatte, heute Nacht ausgerechnet diese Waffe auf seinen harmlosen Rundgang mitzunehmen, wusste er nicht. Und ebenso wenig wusste er, dass ihn diese Frage den Rest seines Lebens beschäftigen würde und sie zu einer schmerzhaften Obsession werden sollte. Vielleicht hatte er sie mitgenommen, weil er seit Tagen schon an sie gedacht und es immer wieder aufgeschoben hatte, sie in den Turm zurückzubringen. Vielleicht, weil es die Lieblingswaffe von Gregory war, dem eigensinnigsten seiner Söhne, zu dem er seit dem Tod der Mutter, der lieben Pauline, kaum noch Kontakt hatte. Vielleicht, weil er schon von klein auf eine Leidenschaft für Waffen verspürt hatte. Diese spontane, völlig unbefangene Begeisterung war zum ersten Mal an seinem zehnten Geburtstag offenbar geworden, als Großvater Hemingway ihm ein kleines, zwölfkalibriges Gewehr mit nur einem Lauf geschenkt hatte, das für immer das schönste Geschenk seines Lebens bleiben sollte. Schießen und Töten gehörten seitdem zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, waren ihm fast ein Bedürfnis, obwohl die väterliche Maxime lautete, man dürfe nur töten, um zu essen. Natürlich missachtete er dieses Gesetz schon sehr bald, obwohl dessen dramatische Bedeutung ihm an dem Tag hätte klar werden müssen, als sein Vater ihn zwang, das zähe Fleisch eines Stachelschweins zu essen, das er aus bloßer Lust abgeknallt hatte.
    Waffen zu tragen und damit zu töten, das war ihm nach und nach zu einer literarischen Chiffre für Männlichkeit und Mut geworden. Alle seine Helden trugen eine Waffe und schossen auch damit, manchmal sogar auf Menschen. Er selbst hatte Tausende von Vögeln, unendlich viele Haie und Schwertfische sowie zahlreiche Nashörner, Gazellen, Antilopen, Büffel, Löwen und Zebras getötet – aber nie einen Menschen, obwohl er an drei Kriegen und anderen Scharmützeln teilgenommen hatte. Als er sich damit brüstete, er habe eine Granate in einen Keller geworfen, in dem sich Mitglieder der Gestapo versteckt hielten, die seine Guerillatruppe auf ihrem Vormarsch nach Paris aufhalten wollten, kam ihn das teuer zu stehen. Später musste er das nämlich vor einem Ehrengericht widerrufen, das ihn beschuldigte, als Journalist an Kriegshandlungen teilgenommen zu haben. Warum eigentlich hatte er widerrufen, wo er doch kaum mehr riskierte als den Verlust seiner Akkreditierung, an der ihm ohnehin nicht viel lag? Warum entlastete er sich mit seiner Aussage und beschädigte dadurch seinen Mythos als Mann der Tat und des Krieges? Und vor allem: Warum hatte er die Granate nicht geworfen und die Nazis nicht

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