Adiós Hemingway
an.
»Nicht sehr. Er war nicht mehr er selbst, und ich glaube, er mochte den Mann nicht, der er jetzt war.«
El Conde musste über Rupertos Erklärung schmunzeln.
Es war die intelligenteste und schlüssigste für Hemingways Ende, die er jemals gehört oder gelesen hatte. Ruperto war Papa auf ewig dankbar, genauso wie Toribio, der seine Liebe zum Chef hinter der Behauptung, er sei ein Scheißkerl gewesen, geschickt zu verbergen wusste. Ein Scheißkerl, ja, aber einer, der ihn gut bezahlt, ihm Lesen und Schreiben beigebracht und ihm ein Vermögen in Form von Kampfhähnen vermacht hatte. Waren es solche Dinge, für die diese beiden Männer ihm noch heute dankbar waren?
»Schöner Hut«, bemerkte El Conde.
»Den hat mir Miss Mary schicken lassen, durch Amerikaner, die mich interviewt haben. Ein echter Panama, schauen Sie.« Er zeigte Mario das Firmenschild an der Innenseite.
»Jemand hat mir erzählt, dass Sie Geld für die Interviews nehmen …«
»Wissen Sie, warum? Es kommen so viele hierher, die mir auf die Nerven gehen, da muss ich einfach Geld nehmen.«
»Prima Geschäft! Besser als Fische fangen.«
»Und so leicht! Denen kann ich alles Mögliche erzählen, auch Lügen. Die Amerikaner glauben alles.«
»Hat Hemingway auch alles geglaubt?«
»Nein, Papa nicht. Den konnte ich nicht anlügen.«
»War er ein guter Kerl?«
»Für mich war er wie ’n Gott.«
»Toribio sagt, er sei ’n Scheißkerl gewesen.«
»Hat der Geschorene Ihnen auch gesagt, dass er die Eier von Papas Hennen geklaut hat, um sie anderen Züchtern zu verkaufen? Als Raúl das entdeckt hat, hat er es Papa erzählt. Die beiden haben sich geprügelt, und Papa hat ihn rausgeschmissen. Toribio hat ihm dann geschworen, keine Eier mehr zu klauen, und Papa hat ihm verziehen.«
El Conde musste grinsen. Er fühlte sich wie unter gezähmten Tigern. Jeder zimmerte sich seine heile Welt zurecht, so gut er konnte, und unterschlug dabei seine eigenen Sünden. Immerhin war die von Toribio schnell ans Tageslicht gekommen. Ob es da noch mehr zu entdecken gab?
»Raúl hat alles für Hemingway getan, stimmts?«
»Ja, alles.«
»Ich hätte mich gerne mit ihm unterhalten … Hat Hemingway irgendwann mal einen Angestellten entlassen?«
»Ja, einen Gärtner. Der hatte seine Büsche beschnitten, und er konnte es nicht ertragen, wenn seine Bäume und Büsche beschnitten wurden … Aber sagen Sie, was wollen Sie eigentlich wissen mit Ihrer ganzen Fragerei?«
»Etwas, das Sie mir nie sagen werden.«
»Wenn Sie wollen, dass ich schlecht über Papa rede, dann sind Sie schief gewickelt. Schauen Sie, als ich für ihn gearbeitet hab, gings mir besser als den anderen Fischern. Und jetzt, wo er tot ist, leb ich immer noch sehr gut, sogar einen Panamahut hab ich! Man darf nicht undankbar sein, wissen Sie?«
»Natürlich weiß ich das. Aber auf Hemingway kommen schwere Zeiten zu … Auf der Finca ist eine Leiche gefunden worden, besser gesagt, die Knochen eines Mannes, der vor vierzig Jahren ermordet wurde. Man hat ihm zwei Kugeln verpasst. Und die Polizei glaubt, dass Hemingway das getan hat. Außerdem wurde neben dem Toten eine alte Dienstmarke vom FBI gefunden. Wenn publik wird, dass Hemingway den Mann ermordet hat, wird man ihn mit Dreck bewerfen, von oben bis unten.«
Ruperto schwieg. Er schien die schockierende Information seines seltsamen Gesprächspartners zu verarbeiten. Das offensichtliche Ausbleiben jeglicher Reaktion machte El Conde bewusst, dass er eine alte Wunde aufgerissen hatte.
»Und Sie, wer sind Sie?«, fragte der Alte schließlich. »Was wollen Sie überhaupt?«
»Ich bin ein Rindvieh, das sich als Bauer verkleidet hat, wie man so schön sagt. Früher war ich mal Polizist, aber genauso ein alter Blödmann. Und jetzt versuch ich mich als Schriftsteller, bin aber immer noch derselbe Blödmann und verdiene mein Geld mit alten Büchern. Ihr Papa war einmal ein großes Vorbild für mich, damals, als ich zu schreiben begonnen habe. Aber dann ist sein Stern vor meinen Augen untergegangen. Nach und nach hab ich erfahren, wie er sich anderen Menschen gegenüber verhalten hat, ich hab begriffen, welche Legende er von sich aufgebaut hat, und da hab ich aufgehört, ihn zu verehren. Aber wenn ich verhindern kann, dass man ihm einen Mord anhängt, den er nicht begangen hat, dann werde ich das tun. Ich mag es nämlich ganz und gar nicht, dass man jemanden fertig macht, einfach so, und ich glaube, Ihnen würde das genauso wenig gefallen. Sie sind ein
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