Adler schießen nicht
Es wäre für uns leicht, den
Hongkonger Behörden einen Tip zu geben, der Mao
zweifellos für einige Jahre ins Zuchthaus bringen würde. Aber das tun wir aus
zwei Gründen nicht: erstens, weil uns Mao in vieler Hinsicht innerhalb der
Kolonie sehr gefällig sein kann, und zweitens, weil unser junges Land den
Opiumhandel braucht .«
»Wie kriegt er denn das Zeug
nach Hongkong hinein und wieder heraus ?« fragte ich.
»Sehr einfach.« Lu Tsin lächelte dünn. »Hunderte
von Fischerdschunken legen täglich in Hongkong an und verlassen es auch wieder.
Manche bringen eben einen ganz besonderen Fang heim. In den Kellern seines
Palastes hat Mao ein beachtenswertes Lager. Wenn er einen Käufer findet, wird
das Opium von Dschunken zu den auf offener See wartenden Schiffen
transportiert. Sie müssen wissen, Mr. Kane, daß es erstaunlich viele Kapitäne
gibt, die sich gern ein Vermögen verdienen .«
»Da können Sie recht haben«,
murmelte ich verdrießlich.
»Ich erzähle Ihnen das alles«,
fuhr er fort, »weil ich genau weiß, daß Sie nie wieder eine Chance bekommen,
diese Dinge auszuplaudern. Verstehen wir uns ?«
»Leider ja.«
»Dort ist Kanton«, rief er und
deutete mit der Hand auf eine Reihe Lichter am Ufer. Dann änderte er plötzlich
den Kurs und drehte sein Boot in weitem Bogen von der Küste weg. Fünf Minuten
später schlug er einen zweiten Bogen und nahm meine Dschunke sozusagen ins
Schlepptau. Beinahe Bord an Bord liefen wir im Hafen von Kanton ein und machten
an einem der zahlreichen Piers fest. Das Kanonenboot lag auf der Seeseite.
Mir war flau im Magen wie
selten zuvor in meinem Leben.
»Jetzt begleiten wir Sie zu
unserem Geheimdienst. Die Herren erwarten Ihre Ankunft bereits mit Ungeduld,
Mr. Kane«, verriet mir Lu Tsin .
»Ob ich wohl...« Mitten im Satz
hielt ich inne.
»Was ?« bellte er mich an.
»Das Mädchen«, antwortete ich.
»Die mit dem blonden Haar. Ich hätte ihr so gern auf Wiedersehen gesagt .«
»Unmöglich«, erwiderte er
steif.
»Kommandant«, sagte ich und
senkte meine Stimme. »Ich würde es mich einiges kosten lassen, wenn ich nur
zwei Minuten mit dem Mädchen allein sein dürfte, um mich von ihr zu
verabschieden. Lassen Sie mich zwei Minuten unter Deck meiner Dschunke gehen .«
»Sie vergeuden nur unsere
Zeit«, schimpfte er. »Ausgeschlossen.«
»Ich weiß doch, was mir blüht,
wenn ich an Land komme«, sagte ich mutlos. »Ich bin ein Mann, der nichts zu
verlieren hat, Kommandant. Sie gewähren mir zwei Minuten mit dem Mädchen, und
ich gebe Ihnen dafür etwas sehr Wertvolles .«
»Was ?« fragte er hölzern.
»Informationen.«
Er kräuselte verächtlich die
Lippen. »Unser Geheimdienst wird alle Informationen aus Ihnen herauspressen,
Mr. Kane, ob Sie nun wollen oder nicht. In derartigen Dingen sind wir Experten .«
»Diese Information werden sie
trotzdem nicht bekommen«, widersprach ich. »Sie wissen nämlich nicht, und sie
vermuten auch nicht, daß ich sie habe. Ich kann mit ihr sterben, ich kann sie
Ihnen aber auch als Tausch für zwei Minuten mit meinem Mädchen bieten. Dann
sind Sie es, der diese wertvolle Information Ihren Vorgesetzten bringt, eine
Auskunft, die Ihr Geheimdienst dringend benötigt. Das würde Ihnen, schätze ich,
doch einiges einbringen .«
Er sah mich einen Augenblick
nachdenklich an. »Was ist das für eine Information ?«
»Ich bin ein amerikanischer
Agent«, sagte ich lakonisch.
Erstarrte mich mit
aufgerissenem Mund an. »Sie lügen! Das ist gar nicht möglich! Sie — ein
Schmuggler und Dieb? Im ganzen Osten sind Sie berüchtigt .«
»Und was könnte einen Agenten
besser tarnen ?«
Er fluchte leise.
»Sie geben mir zwei Minuten,
dafür verrate ich Ihnen, wer die US-Agenten im Fernen Osten dirigiert und von
wo aus .«
»Das sagen Sie mir jetzt
gleich«, erklärte er brüsk.
»In zwei Minuten.«
Er zögerte noch ein paar
Sekunden, endlich nickte er. »Also schön.«
Er gab Order, und ich wurde auf
meine Dschunke begleitet. Die Klappe zur Kajüte wurde aufgestoßen, und man
erlaubte mir, unter Deck zu klettern. Ein paar Sekunden später taumelte Tess
die Leiter herunter. Dumpf fiel die Luke wieder zu.
»Andy«, keuchte Tess. »Was hast
du vor ?«
»Halt die Luft an. Jede Sekunde
ist kostbar«, flüsterte ich eindringlich. »Binde mir zuerst die Hände los !«
Mit zitternden Fingern zerrte
sie an den Knoten. »Wie hast du es angestellt, daß sie dich zu mir gelassen
haben ?« wollte sie wissen.
»Ich habe dem Kommandeur
Weitere Kostenlose Bücher