Adler und Engel (German Edition)
drücken wir uns gegen die kühlen Steine einer mannshohen Gartenmauer und warten, bis das Hundegebell verebbt.
Warst du schon mal hier, fragt sie.
Das hier, sage ich, hat noch nicht mal eine Bezirksnummer. Bist du sicher, dass wir noch nicht in der Slowakei sind?
Mir egal, sagt sie, es muss hier oben irgendwo sein.
Unter dem Gurt des Recorders staut sich der Schweiß, eigentlich verstehe ich nicht, warum ich derjenige bin, der das Ding dauernd trägt, als wäre ich nierenkrank und das mein Gerät für die Blutwäsche. Jacques Chirac presst mir seine trockene Nase in die Seite, ich weiß, was er damit sagen will: Lass uns aufhören mit dem Scheiß.
Eh schon wurscht, sage ich. Wohin jetzt.
Geradeaus, bis die Bebauung aufhört, sagt sie.
Was für eine Bebauung, knurre ich.
Sie setzt sich wieder in Bewegung, ich kann kaum Schritt halten. Vielleicht sollte ich sie darauf hinweisen, dass ich nicht genug Koks dabeihabe, um sie für den Rückweg fit zu machen, wenn die Wirkung nachlässt. Sie scheint vergessen zu haben, dass sie gestern Abend um ein Haar mit dem Leichenwagen nach Hause gefahren wäre. Außerdem verstehe ich nicht, warum sie barfuß geht.
Wieso hast du keine Schuhe an, rufe ich.
Wusstest du nicht, ruft sie zurück, dass man das Innenleben eines Menschen perfekt erforschen kann, indem man sein Aussehen annimmt?
Sie wartet auf mich.
Ist das eine von Schnitzlers Methoden, frage ich.
Von mir weiterentwickelt, sagt sie. Du musst mal probieren, den Gesichtsausdruck eines anderen zu imitieren, so genau wie möglich, und bald wirst du wissen, was er denkt. Dann noch die Klamotten. Dazu gehört nicht viel.
Merkwürdige Theorie, sage ich.
Das ist keine Theorie, sagt sie, das sind Erfahrungswerte.
Ich frage besser nicht, sage ich, wessen Innenleben du dir gerade aneignen willst, sonst kommen wir nämlich heute garantiert nirgendwo mehr an.
Nein, sagt sie, frag lieber nicht.
Von Bebauung ist schon eine ganze Weile lang nichts mehr zu sehen, ich habe innerlich aufgegeben. Die Bewegung meiner Beine und Füße unter mir hat etwas Meditatives, I’ve been through the desert on a horse with no name , der Satz wiederholt sich in meinem Kopf im Takt der Schritte, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte. Die Sonne steht schon seit Ewigkeiten senkrecht. Vielleicht hat die Erde aufgehört sich zu drehen, und wir rasen seit der Mittagszeit auf unseren Fixstern zu, das würde auch erklären, warum es so unfassbar heiß ist.
Da vorn, sagt Clara plötzlich.
Halb in der grabenartigen Vertiefung neben dem Feldweg, auf dem wir gehen, hängt ein alter Lieferwagen, schwarz angestrichen mit einer matten Farbe und so verbeult, dass er aussieht wie gerade im Einschmelzen begriffen. Vom Auto aus verläuft ein Trampelpfad durch eine Wiese, von der nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob wilde Stiere auf ihr leben oder nicht. Im Fluchtpunkt des Wegs erhebt sich ein Gebäude, nur aus Dach bestehend, ein simples, überdimensionales Kartenhaus. Die geschrägten Schindelflächen laufen in steilem Winkel über gut zwei Stockwerke auf den Giebel zu. Ich sehe keine Fenster. Da drin muss es stockdunkel sein.
Und du meinst, frage ich, dass hier jemand wohnt.
Glaubst du, fragt sie, dass Autos auf den Feldern wachsen wie Maiskolben? Natürlich wohnt er hier. Es ist eben ein bisschen provisorisch.
Wer auch immer ER ist, sage ich, er braucht eine Luftbrücke für die Lebensmittelversorgung.
Ach komm, sagt sie, das Loch, in dem wir hausen, ist auch nicht besser.
Teile unseres Lochs, sage ich, sind immerhin an die Kanalisation angeschlossen, und das Ganze befindet sich mitten in der Stadt.
Trotzdem, sagt sie, gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen ihm und uns.
Da bin ich aber gespannt, sage ich.
Wir alle, sagt sie, verstecken uns.
Wir hämmern eine Weile gegen die Tür und dann steht er da, eingerahmt vom enormen, spitzen Dach seines Hauses.
Di, sagt er und zeigt auf mich, kenn i.
Shit, sage ich.
Claras Augenbrauen wandern die Stirn hinauf, als wollten sie sich zwischen den Falten wie in einer Dünenlandschaft verbergen.
Das kann nicht sein, sagt sie, mein Assistent war noch nie zuvor in Wien.
Schickserl, sagt er, geh scheißen. I kenn den Typen.
Er hat recht, mir fällt auch sein Name ein: Erwin. Ich traf ihn, als Jessie mir eines Tages den Hof zeigte und erzählte, wie sie dort mit Shershah gelebt hatte. Sie zeigte mir den Dauerbrandofen, in dem der Schlüssel zum Schuppen versteckt war und den sie im Winter
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