Adler und Engel (German Edition)
sagt er, des is mehr so a Plexizeug. Und des is ja nur für die zweite Gussform.
Er führt uns zur hinteren Wand des Raums. Auf einer Werkbank aufgefächert liegt ein breites Sortiment von Instrumenten, die allesamt aussehen, als stammten sie aus einer Zahnarztpraxis. Die Ecke neben der Bank füllt ein Stapel trüb-durchsichtiger Plastikleiber, längs halbierte, plumpe Menschengestalten mit dicken Gussnähten an den Außenseiten.
Do drin, sagt der Künstler, wird dann die richtige Figur gegossen, wieder aus an speziellen Material, klar wie a Obstler.
Er zieht einen der halben Plastikleiber aus dem Stapel, die Rückseite einer Frau ist darin abgedrückt. Als ich mein Gesicht der Kunststoffoberfläche auf wenige Zentimeter annähere, erkenne ich das Negativ der Porenstruktur von Frauenhaut und ein paar blonde Härchen, die mit dem Plastik verschmolzen sind.
Ja, sagt der Künstler, die Hoar bleiben oft in der Form pickn, und i muss die dann aanzeln mit der Pinzetten ausizupfen. Der größte Schmarrn san die Kopf- und Schamhoar.
Uns interessiert vor allem, sagt Clara, wer konkret Ihnen Modell steht für diese – Experimente?
Des san kaane Experimente, sagt er, des haut hin, des is a gmaade Wiesn.
Also wer, fragt Clara.
Schau Zeiserl, sagt er, hast amal den James Bond »Goldfinger« gsehn?
Kann sein, sagt sie, warum?
Na dann hast ja aan Schimmer, sagt er, dass es der Mensch net länger als a poar Minutn aushält, wann sei Haut komplett eigschwaßt is. Und wenn er a Nosn hätt wie a Gebläse, es nutzt nix, er dastickt. Kapiert?
Nein, sagt Clara.
Bis mei Plexigatsch hoart wird, sagt der Künstler, vergange leicht a poar Stundn. Des daschnauft kaana.
Das glaube ich einfach nicht, sagt Clara.
Nein, sage ich, er meint was anderes.
Du Oida, sagt er, du bist aa net auf der Nudlsuppn daherschwomme. Du host a Nasn dafür.
Bei »Nase« fällt mir ein, dass es höchste Zeit wird, eine kleine Linie zu ziehen, ich fühle mich etwas beengt.
Er arbeitet mit Leichen, sage ich.
Claras Augen über der Gesichtsmaske werden schmal und zwinkern, ich glaube, sie lacht. Eine Weile stehen wir schweigend um den Plexiglassarkophag herum wie ein Chirurgenteam, mit hängenden Armen über dem gerade verstorbenen Patienten. Die Frau, deren Arsch hier salatschüsselgroß abgedrückt ist, wurde inzwischen wahrscheinlich schon von den Würmern gefressen, und der gläserne Hohlraum macht ihre Abwesenheit auf sehr treffende Art und Weise gegenständlich.
Was waaß a Fremder, wer die woar, sagt der Künstler.
Als hätte jemand danach gefragt.
Stört es dich, wenn ich kokse, frage ich.
Hau dirs nur eini, des Klumpert, sagt er, brauchst an Spiegel?
Ich habe alles dabei. Clara hat die Augen geschlossen und sieht nicht aus, als könnte sie unseren Worten folgen. Ich konnte sie gerade noch auffangen.
Des kommt von den Dämpfen, sagt der Künstler, im AKH haben sie mir bestätigt, dass des Zeug hochgiftig is.
Nee, sage ich, ihr war schon vorher schlecht. Gestern hatte sie das auch schon.
Vielleicht hat sie ihre Tage, sagt er.
Magst du auch, frage ich.
Danke, danke, sagt er, i hob mei Chemiefabrik.
Mit Hilfe einer Stange hat er eine schmale Luke hoch in der Dachschräge geöffnet, so dass eine dicke quadratische Lichtsäule in der dunstigen Luft steht und uns von oben trifft, als wären wir Teil eines Rubens-Gemäldes. Ich sitze auf einer flachen Kiste. Hinter uns erstreckt sich der Raum über die volle Länge des Hauses, schmal wie ein Schlauch und dreieckig, man kann nur an der inneren Seite aufrecht stehen. Das letzte Stück wird von einer großen Kühltruhe ausgefüllt.
Woher du die vielen Leichen kriegst, frage ich, wird wahrscheinlich nicht verraten.
So viele sinds gar net, sagt er, mehr als vier im Joahr schaff i net. Bis die richtig fesch ausiputzt san, wird dir der Samen sauer.
Und die werden nicht vermisst, frage ich.
Naa, sagt er, des san Spezialfälle. Außerdem moch i die ja net kaputt. Bis auf a bissl Rasiern.
Und was, frage ich, wenn jemand in die Galerie kommt und seinen Bruder auf dem Sockel erkennt?
Des wär gschissen, sagt er. Dann wärs aus mit die Rederei von mei anatomischem Realismus.
Clara atmet sehr langsam und gleichmäßig wie ein Igel im Winterschlaf, vielleicht macht sie autogenes Training.
Die macht kaan Muckser, sagt er, die ghört in die frische Luft.
Du machst Witze, sage ich, draußen sind vierzig Grad, keine frische Luft.
Clara hebt die Hand, ohne die Augen zu öffnen.
Es geht schon,
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