Adler und Engel (German Edition)
öffnet den Mund und würgt, ein bisschen Wasser läuft aus ihr heraus, klar wie frisch aus der Flasche.
Max, hilf mir, sagt sie, hilf mir.
Ich nehme ihre Hand und sehe auf die Uhr an ihrem Handgelenk.
In zwei oder drei Stunden, sage ich, wird es schon dunkel.
Ja bitte, sagt sie, mach das Licht aus.
Bis dahin bleiben wir hier, sage ich.
Ich lege sie wieder auf den Boden, tiefer in den Hauseingang hinein. Ein bisschen blasiger Speichel tritt ihr aus dem rechten Mundwinkel.
Wahrscheinlich wäre es besser, mir immer die Hände zu waschen, nachdem ich sie angefasst habe.
25 Adler und Engel
D u hast geschrien, sagt Clara.
Die Hängematte schwingt wild hin und her, offensichtlich habe ich auch gezappelt oder ich zappele immer noch, vielleicht schreie ich auch immer noch.
Bleib liegen, sagt Clara.
Sie umfasst mich mit beiden Armen und hält auf diese Art die Matte an. Ich presse meine Stirn gegen ihr Brustbein, Knochen auf Knochen, zusammen sind wir mehr ein großes Reisigbündel als ein Menschenpaar aus Fleisch und Blut. Ihr Kinn liegt oben auf meinem Kopf.
Dein Nicken, sage ich, zerquetscht mir gleich die Schädeldecke.
Ganz ruhig, sagt sie, ich habe gar nicht genickt. Was hast du denn?
Geträumt, sage ich.
Oder ich träume immer noch, jedenfalls schlafe ich noch halb, denn ich höre ein Wimmern und ich wundere mich, was Clara hat, und dann fällt mir auf, dass ich es bin, der wimmert, und ich unterbinde das, indem ich zu atmen aufhöre. Clara kniet vor der Hängematte.
Was denn geträumt, fragt sie.
Geräusche, sage ich, Bilder. Ich dachte, es sei die Ewigkeit. Ein Alptraum.
Ich habe wenig Kontrolle über mein Sprachzentrum. Es ist dunkel im Raum, der halbe Mond passt genau in eine der kleinen Fensterscheiben, und ich frage mich, warum ich überhaupt nachts schlafe. Selbst schuld, wenn ich dann träume. Meine Finger bewegen sich unter Claras T-Shirt, ihr Bauch ist hart, ich bekomme keine einzige Falte zu greifen, nichts, woran ich mich festhalten könnte. Ihre Brüste will ich nicht anfassen, wenn ich mir vorstelle, wie sie schielen, verspüre ich eine Mischung aus Lachreiz und Ekel. Ich gebe auf. Sie will sowieso gerade aufstehen.
Ich kann es riechen, wenn du eine Erektion bekommst, sagt sie, die Vorhaut schiebt sich zurück und dann stinkt es. Ich rieche es von hier aus.
Ich bin impotent, sage ich.
Wunschdenken, sagt Clara. Schlaf jetzt weiter.
Und seltsamerweise fühle ich mich wirklich müde, auf eine gesunde Art, wie man sich nachts eben müde fühlt und sich entspannt aufs Schlafen freut, vielleicht habe ich das Koksen vergessen am Abend, oder vielleicht werden meine Schlafperioden länger, weil ich Übung bekomme und den Schlaf Stück für Stück weiter ausdehnen kann, bis ich irgendwann nur noch fünf Minuten täglich wach sein werde und dann gar nicht mehr. Das ist dann der Tod.
Ich stelle ein Bein auf den Boden und schaukele mich sanft. Clara hat sich nicht schlafen gelegt, ich sehe sie geisterhaft vor dem Fenster unter der Kastanie herumstehen, ich weiß nicht, was sie da macht, und sie selbst weiß es bestimmt auch nicht. Die Kastanie raschelt. Oder vielleicht durchquert ein dicker Igel das Gebüsch und pflückt sich Nacktschnecken von den Steinen der Brunnenmauer.
Gegen die Maschendrahtzäune werfen sich von der anderen Seite große Hunde, ihr Bellen würde jedes Gespräch unmöglich machen, selbst wenn wir es versuchten. Sie kläffen Jacques Chirac an, der nicht einmal den Kopf nach ihnen dreht, er ist arrogant wie ein Adliger. Oder scheintot. Clara ist wild entschlossen, sie geht voraus und ich folge ergeben. Auf Anfrage habe ich vor dem Aufbruch mit einer Ladung Koks ihre letzten Kräfte mobilisiert, natürlich ohne zu wissen, wofür das gut sein soll. Mir ist es egal, ich fühle mich seltsamerweise ziemlich kräftig, also kann ich auch irgendwohin laufen. Von hinten sieht sie richtig gut aus, ihr Haar zum langen Zopf über den Rücken geflochten, die Hose viel zu weit und auf den Hüften hängend, so dass der gestreifte Rand einer meiner Boxershorts sich über dem Bund faltet. Mit meinem Pulver im Blut bewegt sie sich versammelt und gleitend wie ein Fischschwarm. Solange sie sich nicht umdreht, könnte sie eines der üblichen hübschen Kampfmädchen aus irgendeiner verkorksten Großstadt sein. Von vorne allerdings zerstört ihr Gesicht den Eindruck, denn es ist nicht glatt und unschuldig, sondern verbraucht und schlecht aufgehängt zwischen den Ohren.
An einer Straßenecke
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