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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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hineingetragen und mit gepressten Holzspänen aus dem Sägewerk vollgestopft hatten, bis das Rohr bis unter die Decke glühte. Ich fragte, warum Shershah und sie nicht in einer richtigen Wohnung untergebracht gewesen seien, und sie antwortete, dass sie sich hier wohl gefühlt habe, und dann prallte ich gegen eine Gestalt, die im Türrahmen stand, leicht schwankend, groß und dunkel und mit ledernem Gesicht, nach Schnaps stinkend, und Jessie sagte »Hallo Künstler« zu ihm. Er sagte, Schickserl, wo ist der Adonis, und sie sagte, dass sie das nicht wisse, dann sagte er, guat, i geh jetzt haam, mi zuaschwaaßen. Ich erkenne ihn, er sieht noch genauso kaputt aus wie vor zwei Jahren.
    Aa wenns da drin sonst scho Noacht is …
    Er klatscht sich die flache Hand an die Stirn, als wollte er den letzten Rest seines Gehirns erschlagen wie ein paar lästige Fliegen.
    Für Gsichter, sagt er, hob i scho immer a Aug ghobt. Der da is aaner von der Spedition.
    Wir, sagt Clara, sind sowieso gleich wieder weg. Dauert überhaupt nicht lang.
    Sie marschiert auf nackten Füßen an ihm vorbei ins Haus, im Stechschritt, als hätte sie bleischwere Armeestiefel an.
    Arschlings, Marie!, schreit er.
    Und rennt ihr nach. Ich trete auch ein, es ist nicht kühler als draußen, dazu raubt einem der Gestank von brennendem Plastik den Atem. Der Hund beschließt zu warten und lässt sich in den schmalen Schatten an der Hauswand fallen. Am Ende des Flurs steht eine Tür offen, aus der grelles elektrisches Licht fällt, und dort sehe ich Claras Silhouette stehen. Als ich die Schwelle überschritten habe, wird der Dunst unerträglich, und ich begreife sofort, warum der Künstler keine großen Stücke mehr auf seinen Verstand hält.
    Er greift in die Schublade und wirft uns zwei lächerlich dünne Smogmasken zu, nicht mehr als ein Stück Mullbinde mit zwei Gummibändern, die man hinter die Ohren ziehen kann. Adler, denke ich, haben keine Ohren. Erwin selbst setzt sich eine Maske auf, die in der Mitte gelblich verfärbt ist, als hätte er unzählige Zigaretten hindurchgeraucht.
    Der Raum ist wie eine Kiste in das Haus gestellt, weniger groß als erwartet und mit senkrechten Wänden trotz des schrägen Dachs. Neben der Tür lehnen vier Metallkonstruktionen, moderne Versionen der Eisernen Jungfrau, eine weitere liegt in der Mitte des Zimmers aufgeklappt am Boden.
    Kaa Angst, sagt der Künstler, i woar nur beim Putzen.
    Wovor genau, fragt Clara, sollten wir denn Angst haben?
    Warum genau, fragt der Künstler, seids ihr denn kumman?
    Ich arbeite an einem Bericht für den Kultursender der Radio-Kooperation Mitteldeutschland, leiert Clara.
    Ja, ja, sagt Erwin, und der Hefenbruader do sitzt im Öl und schlogt Wellen.
    Er zeigt auf mich.
    Wie bitte, sagt Clara.
    Der Kleinkriminelle, sage ich, ist wohl zum Spaß hier.
    Sie zuckt die Achseln.
    Jedenfalls wüssten wir gern, wie Sie arbeiten, sagt Clara.
    Der Künstler hebt ein Knie an, um sich beim Lachen auf den Oberschenkel schlagen zu können.
    A schau, sagt er, aber sonst gehts dir guat.
    Hör mal, sage ich ungeduldig, die Kleine hier ist völlig scharf auf deinen Mist, und Herbert sagt, das geht in Ordnung.
    Er starrt mich eine Weile an mit seinen tränenden Ochsenaugen, wahrscheinlich geht es in seinem Kopf langsam und gemütlich zu wie bei einem Kaffeekränzchen. Hinter seinem Rücken lächelt Clara mir zu und dreht einen Daumen nach oben.
    Na guat, sagt er, zehn Minuten und dann hauts euch wieder über die Häuser.
    Länger hält es hier drinnen sowieso keiner aus. Wir gehen zu dritt neben den zwei geöffneten Hälften der Metalljungfrau in die Hocke.
    Des is a Gussform, sagt er, die geht für einszweiundsiebzig bis einsachtzig.
    Ich fahre mit den Fingerspitzen über die glatte Oberfläche. Die Innenseite der Form ist so blank poliert, dass das Metall sich fast weich anfühlt unter den Händen. Ich kriege gerade noch rechtzeitig die Arme an den Körper gerissen, als der Deckel zuknallt, der dröhnende Schlag kommt an- und abschwellend von den Wänden zurück. Der Künstler grinst mich an. Er hat sie nicht alle.
    An sich san die Gussformen selbst scho Kunstwerke, sagt er. Wenn i ins Gros bissn hob, san die a Vermögen wert. Die macht a Haberer von mir, a Goldschmied.
    Und dann, fragt Clara.
    Des Modell legt sie do eine, sagt er. Do und do san die Einfüllstutzen, und dos is es. Den Plastikgatsch rühr i mir selber.
    Sie, fragt Clara, gießen heißes, flüssiges Plastik über Menschenkörper?
    No ja, Plastik,

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