Adler und Engel (German Edition)
und bestreiche damit Claras Haaransatz.
Den Nachmittag über beschäftigte ich mich damit, im Büro meinen Schreibtisch durchzusehen nach Unterlagen oder Gegenständen, die so wichtig waren, dass ich sie mitnehmen wollte. Ich fand so gut wie nichts. Es kamen keine Anrufe, niemand fragte nach mir. Anscheinend hatten die Sekretärinnen Anweisung erhalten, mich abzuschirmen.
Als ich gegen sechs das Büro verließ, war das Vorzimmer leer. Ich steckte die Schlüssel ein mit der mir unbekannten Leipziger Adresse daran, verabschiedete mich von niemandem und ging einfach, als wäre ich nur ein zufälliger Besucher gewesen oder als würde ich ohnehin wiederkommen am nächsten Tag. Als die schwere Eingangstür der Kanzlei hinter mir ins Schloss fiel, hörte ich endgültig auf, ein Teil von Rufus’ Olymp zu sein.
Claras Haare sind einfach zu lang, sie biegen sich andauernd unter der Klinge durch. Ich weiß nicht, ob Jessie die Köpfe der bosnischen Frauen damals nass rasieren musste oder ob sie eine Maschine hatte. Ich habe vergessen, sie danach zu fragen, schlichtweg vergessen. Immer wieder schneide ich aus Versehen in Claras Kopfhaut, weil sie zu weich ist, und sofort tritt ein dicker Tropfen Blut aus, den ich mit dem Finger auffange und ablecke. Es schmeckt ganz normal, nach Blut eben, und ein bisschen nach Rasiercreme. Früher hat meine Mutter immer, wenn ich hingefallen war, mich geschnitten oder sonst verletzt hatte, auf diese Art mein Blut geleckt, und wenn ich sie fragte, warum sie das mache, sagte sie, das könne sie ohne weiteres tun, weil ich Fleisch von ihrem Fleisch sei und Blut von ihrem Blut.
So geht es nicht. Ich will Clara nicht weh tun.
Ein gezahntes Küchenmesser liegt in Reichweite am Boden, ich klemme ihren Kopf zwischen die Knie, packe die Haare und ziehe, bis sie gespannt sind wie die Saiten eines Instruments. Die erste Handvoll wird von den Zähnen der Klinge eher ausgerissen als abgeschnitten, dann kapiere ich, dass ich schneller sägen muss. Ab und zu gibt es einen klingenden Ton. Obwohl ihr Kopf zwischen meine Knie wie in einen Schraubstock gespannt ist, wird er durch die Bewegungen des Messers auf den Dielen hin und her gerüttelt, als läge sie am Boden eines fahrenden Güterwaggons.
Man spürte den Herbst, draußen blies ein heftiger Wind. Ich wickelte mich in meinen Mantel und ließ mich zusammen mit toten Blättern und kleinen abgebrochenen Ästen über die Wiese des Volksgartens treiben. Ich beschloss, zu Fuß nach Hause in die Währingerstraße zu gehen, es kam nicht auf die Minute an. Natürlich hatte ich Angst. In meinem Magen drehte sich ein großes scharfkantiges Kreissägeblatt, schnitt mein Inneres in kleine Fetzen und wirbelte sie durcheinander. Am Schaufenster der Galerie am Opernring blieb ich kurz stehen und betrachtete die Bilder mit den ameisenähnlichen Frauenportraits, die ihre spitz auslaufenden Gesichter einander zugekehrt hatten, traurig lächelten und meinen Fall besprachen.
Bevor ich den Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür schob, lauschte ich eine Weile mit dem Ohr am Holz. Es war nichts zu hören, und für einen Moment kam mir der Gedanke, sie könnte gar nicht da sein, weggelaufen, wie es die vierbeinigen Helden in Tierfilmen zu tun pflegen, wenn sie spüren, dass etwas Schlechtes, Ungerechtes mit ihnen zu geschehen droht. Einfach verschwunden, vielleicht nach Grönland. Ich schloss auf.
Fast gleichzeitig öffnete sich drinnen die Küchentür und Jessie kam mir über den Flur entgegen.
Üd-üd-üd-üd, rief sie.
Dicht vor mir blieb sie stehen, einen Arm im Ärmel eines Hemds, die Hälfte des Oberkörpers irgendwie in den Stoff gewickelt, den anderen Arm hilflos in die Luft gestreckt. Ich sah sofort, dass der Ärmel, den sie erwischt hatte, auf die falsche Seite gedreht war und deshalb nicht zum Rest des Kleidungsstücks passen wollte. Sie lachte mich an, lehnte sich gegen mich und versuchte, mich mit ihren halb gefesselten Gliedmaßen zu umarmen. Ich half ihr in das Hemd und küsste sie. Ihr Körper war steif, ich streichelte ihren Kopf, bis sie sich weich in meine Arme sinken ließ.
Cooper, sagte sie, du kommst spät.
Es ist nicht spät, sagte ich, erst halb sieben.
Trotzdem, sagte sie.
Sie hielt mich weiter fest, so dass sie seitwärts gehen musste, als ich mich auf den Weg in die Küche machte. Dort ließ ich meine Tasche fallen, neben die Sprudelkisten, wo sie nicht hingehörte. Ich überlegte, ob ich die Wohnung sichten sollte, wie ich es bei meinem
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