Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
Vom Netzwerk:
auf der Schwelle erscheint. Lisa von Jericho.
    Aber jetzt habe ich keine Zeit. Ich schließe auch die Fensterläden, und die Luft, die dabei in Bewegung gerät, kommt mir tatsächlich verdächtig kühl vor, sie riecht sogar ein bisschen feucht.
    Es gibt in dieser gottverfluchten Ecke der Stadt kaum Taxistände. Ich renne die Ottakringer Straße entlang, an der digitalen Anzeigetafel vorbei, die achtundzwanzig Grad Lufttemperatur behauptet und zwei Uhr dreiundvierzig am Morgen und alle Verschmutzungswerte im gefahrenfreien Bereich, sogar das Ozon. Das ist Propaganda, ich ärgere mich maßlos, eine ganz normale Nacht, will mir diese Tafel sagen, ich bringe sie nicht mehr aus meinem Kopf heraus. Der Karton unter meinem Arm behindert mich beim Laufen.
    Opernring, sage ich, fahren Sie los, Mann.
    Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, und seine stoische Gelassenheit tut mir gut. Ich habe keine Eile, keine Eile. Taxifahrer haben schon alles gesehen auf der Welt und noch Schlimmeres. Er fährt Daimler, das gleiche Modell, das meine Mutter hatte.
    Jetzt langsam, sage ich.
    Wir gleiten ohne ein Geräusch die Nebenspur des Rings entlang. Auf einigen der Bänke unter den Bäumen verbringen ein paar Bekloppte die Nacht. Ich öffne den Karton, finde einen Tausendschillingschein und steige aus dem Wagen, bevor er sich um das Wechselgeld Gedanken machen kann. Er hat einen Blick in den offenen Karton geworfen, und an seiner Miene sehe ich, dass es an diesem Punkt vorbei ist mit dem Stoizismus.
    Ich bleibe unbeweglich stehen, bis er endlich abgefahren ist, dann schaue ich im Schaufenster nach, ob die Bilder noch da sind. Nichts Buntes ist zu sehen, nur komische Collagen aus grauen Pappscheiben von irgendeinem anderen Künstler. Man sieht schlecht in den Innenraum, an den Wänden nur dunkle Flecken und in der Mitte die Schemen eines größeren Objekts, ein paar Lichtreflexe darauf.
    Ich gehe zum Seiteneingang des Gebäudes, lege den Finger auf die Klingel und lasse nicht mehr los. In den Baumkronen piepsen ein paar Vögel, die sollte man wirklich alle vergiften. Nichts gibt mir Anlass zu glauben, dass er tatsächlich über seinem Laden wohnt, es ist nur ein Versuch. Dann meldet sich jemand an der Sprechanlage.
    Ein exaltierter Kunde, sage ich, mit einer Kiste voll Geld.
    Als die Tür von innen aufgeht, sehe ich zuerst eine Hand, die um den Griff einer Walther PPK geschlossen ist, mit dem gleichen Modell hat Jessie sich erschossen. Anscheinend kauft Herbert für seine Leute Material aus Beständen der deutschen Polizei.
    Er steckt die Waffe sofort weg, als er mich erkennt.
    Ach Quatsch, sagt er, Iggy Pop.
    Dann fängt er an zu lachen. Einen Moment lang halte ich ihn tatsächlich für eine Wahnvorstellung. Überlastung des Hirnregulierungssystems ab einer bestimmten Konsummenge, davon habe ich gehört, nur nie so richtig daran geglaubt.
    Trete er nur ein, sagt er, ich war eh noch nicht im Bett.
    Vade retro, sage ich, was zum Teufel machst du hier?
    So eine Art Urlaub, sagt er, warten, bis der ganze Zirkus vorbei ist und ich in Ruhe weiterarbeiten kann.
    Sprich Klartext, Arschloch, sage ich, was machst du in DIESEM Gebäude?
    Na hör er mal, sagt er, das ist das Haus von meinem lieben Vater.
    Schlechter Trip, sage ich, verdammter schlechter Trip.
    Ich stelle den Karton auf dem Boden ab, greife in die Hosentasche und hole heraus, was mir gerade an den Fingern hängen bleibt, ich drücke es mir mehr in die Nase, als dass ich sniefe, den Rest schlecke ich vom Handteller ab.
    He, he, sagt er, mal langsam, er ist doch schon total dicht.
    Meine Augen tränen, ich sehe ihn schlecht. Tom Techniker also der Sohn vom Galeristen. Aber warum nicht. Auch scheißegal.
    Schon gut, sage ich, danke der Nachfrage. Hör mal, ich will nicht hier rein, sondern vorne in den Laden. Ich will was kaufen.
    Im Kaufen ist er ja ganz gut, sagt Tom. Dass er direkt bei Rufus vor der Tür seine Drogen klarmacht, toppt wirklich alles. Gefällt mir. Aber das hätte den Bogen fast überspannt, kann ich ihm sagen.
    Bogen überspannt, sage ich, apropos. Du bist ein schlauer Junge und sagst mir jetzt: WARUM zur Hölle kümmert sich kein VERFICKTER Schwanz um uns?
    Schrei er nicht so ordinär, sagt Tom, die Nachbarn.
    Gib Antwort, sage ich.
    Denk er doch mal nach, sagt Tom.
    Er streckt die Hand aus, um mich irgendwo zu berühren, seine Finger tappen ins Leere.
    Nervös sind die schon, sagt er, aber sie lauern alle wie die Wölfe, jeder hinter seinem Felsen. Ob sie’s

Weitere Kostenlose Bücher