Adler und Engel (German Edition)
es in Wirklichkeit andersherum gewesen wäre. Dieses Gefühl werde ich nicht mehr wegbekommen. Es vergällt mir den Kauf, die Freude darüber, ihr etwas zu schenken, was sie sich gewünscht hat. Er hat es wieder mal geschafft, der verdammte Hurensohn, er schafft es immer wieder.
Tom nimmt die Bilder von der Wand, trägt sie zum Kassentisch und wickelt sie in braunes Packpapier, ich komme mir vor wie in der Metzgerei.
Was brummt denn hier so?, frage ich.
Das, sagt Tom, ist das Corpus Delicti .
Er schlägt eine Ecke des Tuchs zurück, das den Kassentisch bedeckt, und lässt mich einen Blick auf den Rechner werfen, der darunter steht.
Der dient uns einstweilen als besserer Taschenrechner, sagt er, zum Abkassieren der Kundschaft. Das ist, wie wenn man mit einer Boeing zum Einkaufen an die Ecke fährt. Aber hier steht er einigermaßen sicher. Sie wollen ihn noch eine Weile aufheben.
Ich begreife kein Wort von seinem Gelaber, es ist mir auch gleich, er steht mit dem Rücken zu mir und ich starre auf die schwere Kette seines Portemonnaies und auf die Beule in der riesigen Arschtasche seiner Jeans, in die er die Walther gesteckt hat. Ich spüre es genau, dass ich gleich austicke, ich spüre es.
Weil er so laut brummt, sagt Tom, nannte Jessie ihn immer …
Als er sich umdreht, um mir das Paket zu überreichen, nehme ich ihn in den Schwitzkasten. Meine Stirn knallt gegen seine, ich glaube, der Schlag benebelt uns beide gleichermaßen, dann habe ich die Waffe in der Hand, er taumelt zurück. Ich werde nur einen einzigen Schuss abgeben, auf ihn, auf mich oder auf Shershah, und am liebsten will ich auf mich selber schießen, wirklich am allerliebsten.
Das Mündungsfeuer steht viel zu lange in der Luft, ich muss an Clara denken mit dem Haarspray-Bunsenbrenner und der Spinne, ich muss an Jessie denken und den Spazierstock auf dem Balkon in Herberts Wohnung, an mich und das Telephon in meinem Leipziger Büro, als der Schuss fiel, der ihr den Kopf zerstört hat, ich muss an viele Dinge gleichzeitig denken.
Daneben. Die Glasscheibe des Galerieschaufensters sinkt wie in Zeitlupe in sich zusammen, die Alarmanlage beginnt zu heulen, mein gesundes Ohr pfeift, das kranke sowieso. Ich lasse die Walther fallen, ich sehe Tom Technikers fassungsloses Gesicht, und in dem Moment, als ich durch den leeren Fensterrahmen auf die Straße springe, sehe ich auch die Kiste mit den bunten Kugelschreibern, alle gelb-rot-blau, als Werbegeschenk für die Kunden, neben der Tür. Fast rutsche ich auf den Glasscherben aus. Die Statue steht unversehrt auf ihrem Sockel, ihr Lächeln gräbt sich in mein Gedächtnis ein, um nie wieder daraus zu verschwinden. Ich klemme mir das Paket mit den Bildern fester unter den Arm und beginne zu laufen, zu laufen.
30 Baumgartner Höhe
D em Brunnen werfe ich nur einen flüchtigen Blick zu. Obwohl ich glaube, viele Stunden daran gearbeitet zu haben, ist das Loch daneben nicht viel größer als ein gewöhnliches Grab. Von einem Krater kann gar keine Rede sein.
Clara im Schuppen liegt genau so, wie ich sie zurückgelassen habe. Jacques Chirac wedelt mit dem Schwanz, ich verstehe nicht, warum er sich immer noch freut, mich zu sehen, oder vielleicht ist das Schwanzwedeln nur eine schlechte Angewohnheit. Ich tätschele seinen Kopf.
Guck mal, sage ich, was ich mitgebracht habe.
Ich packe die Bilder aus und lehne sie nebeneinander an die Bücherkartons. Dreimal vertausche ich die Anordnung, bis die Ameisenfrauen sich gegenseitig ansehen können. Sie sind außergewöhnlich schön, so knallbunt und so bescheiden, Jessie hatte einen guten Geschmack. Zusammen ergeben sie ein perfektes Triptychon für ihren Altar. Wenn ich nur wüsste, wo ich ihn eigentlich aufzubauen hätte, hier ist kein guter Ort.
Schade, sage ich zu Clara, dass du die Augen nicht aufkriegst, um das zu sehen.
Ich bin nicht müde. Ich bereite den Recorder vor. Das alte Band liegt nicht mehr drin, ich kann mich nicht erinnern, wo ich es hingetan habe. Es liegt nicht auf den Rollschränken, auch nicht auf den Bücherkartons und nicht zwischen unseren Klamotten. Dafür fällt mir mein Rasierzeug in die Hände, und eine frische Kassette finde ich auch. Beides lege ich neben Clara bereit, dann fülle ich im Hof die Schüssel mit Wasser und stelle sie dazu, zusammen mit Koks und Zigaretten. So sitzen, stehen und liegen wir im Kreis, Clara, ich, der Hund und die drei Ameisenfrauen. Ich mache die Klinge feucht, schäume etwas Creme zwischen den Handflächen auf
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